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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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einer langen und hässlichen Krankheit einen Tod miterlebt, verspürt sie auch Erleichterung und Frieden.
    »Es ist aus.«
    Er fährt sich kopfschüttelnd mit den Fingern durchs Haar.
    »Das ist nicht richtig, Beth. Wir sollten zusammen sein. Wir lieben uns. Wir haben eine zweite Chance verdient«, sagt er. Seine Worte kämpfen gegen die nahende Flut unaufhaltsamer Tränen an.
    Er steht auf und stürzt aus dem Zimmer. Sie hört, wie er in seine Stiefel schlüpft, seine Jacke zuzieht. Die Haustür geht auf und wieder zu. Sie hört, wie er seinen Truck anlässt und aus der Auffahrt fährt. Ihr Herz hämmert. Sie hat es getan. Es ist vorbei.
    Sie geht in die Küche, nimmt eine Flasche Triple-Eight-Wodka aus dem Schrank, füllt ihren Becher mit lauwarmem Kakao bis zum Rand damit auf und geht zurück zur Couch. Sie lauscht auf den Sturm, das Feuer, die Heizung, die Stille. Als sie einen Schluck Kakao nimmt, bemerkt sie, dass ihre Hände zittern. Sie starrt auf die weiße Pappschachtel, die noch immer auf dem Couchtisch liegt, voller Angst, sie in die Hand zu nehmen.
    Es klingelt, und sie zuckt zusammen, sodass sie etwas Kakao auf ihrem Schoß verschüttet. Schnell wischt sie sich die Jeans mit einer Hand ab und schaut auf sein Hausaufgabenblatt, das noch immer auf der Couch liegt. Vielleicht ist er deswegen zurückgekommen. Oder vielleicht hat er noch mehr zu sagen. Sie holt ängstlich Luft und geht in den Windfang.
    Sie öffnet die Haustür und zuckt wieder zusammen, wobei sie diesmal Kakao auf ihrer roten Bluse verschüttet. Es ist nicht Jimmy. Ihr emotional erschöpftes Gehirn braucht ein paar Sekunden, um ihre Erwartung anzupassen und zu erkennen, wer vor ihr steht.
    Es ist Olivia. Sie ist triefend nass, hält einen weißen Pappkarton in der Hand und sieht aus, als hätte sie eben ein Gespenst gesehen.

VIERUNDDREISSIG
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    »Olivia, Sie sind ja völlig durchnässt«, sagt Beth. »Kommen Sie herein.«
    »Entschuldigen Sie, dass ich so unangemeldet vorbeischaue«, sagt Olivia, in der Hoffnung, beiläufig zu klingen. Es gelingt ihr nicht. Ihre Stimme klingt aufgedreht, angespannt und ein bisschen zu schrill.
    »Kein Problem, kommen Sie herein.«
    Olivia tritt ein. Sie steht in einem Windfang – grau gefliester Boden, ein grün-blauer Flechtteppich, Mädchenschuhe und -stiefel, ordentlich aufgereiht unter einer langen Holzbank, Jacken, die an Haken an der Wand hängen. Das Haus ist warm. Es riecht nach Keksen.
    Beth zögert kurz, bevor sie die Haustür schließt, wirft einen Blick über die leere Straße. Sie scheint abgelenkt und ein wenig durcheinander. Vielleicht ist der Zeitpunkt ungünstig.
    Aber es gibt keinen anderen Zeitpunkt.
    »Ich habe Ihr Buch dabei.« Olivia umklammert den Karton, den sie sich an die Brust gedrückt hat, schützt, was darin ist, als wäre es ein kostbares Geschenk, eine geheiligte Gabe, ein geliebtes Baby.
    »Oh, toll!« Beths Miene hellt sich auf. »Geben Sie mir Ihre Jacke. Kommen Sie ins Wohnzimmer, dann können wir uns ans Feuer setzen.«
    Beth hängt Olivias durchnässte Jacke an einen freien Haken. Olivia zieht ihre Schuhe aus und folgt Beth ins Wohnzimmer.
    »Entschuldigen Sie die Unordnung.«
    Olivia sieht sich in dem Zimmer um, alle Sinne geschärft, empfindlich und weit geöffnet, versucht jedes mögliche Detail aufzunehmen. Weiße Wände, cremefarbene Raffrollos an den Fenstern, ein verblichener blauer Teppich auf dem Hartholzboden, ein bescheidener Fernseher in einer weißen Schrankwand, alle Schränke geschlossen, Kaminholz, hoch aufgestapelt in einem eisernen Wagen, eine Kerze und eine kleine weiße Geschenkschachtel auf dem Couchtisch, zwei braune Sofas, einander gegenüber vor einem traditionellen gemauerten Kamin, ein einzelnes gerahmtes Foto von Beth und ihren Töchtern, aufgenommen von Olivia, in der Mitte des Kaminsimses an die Wand gelehnt, flankiert von einer großen Muschel auf der einen Seite und einem Seestern auf der anderen. Ein blauer Plastik-Wäschekorb mit nicht zusammengelegten Kleidungsstücken steht neben einem der Sofas auf dem Boden, aber ansonsten ist das Zimmer tadellos aufgeräumt.
    Olivia nimmt Beth gegenüber auf der Couch Platz.
    »Da ist eines Ihrer Fotos.« Beth zeigt lächelnd zum Kaminsims. »Wir haben noch acht andere gerahmt in der Diele oben. Wir lieben sie. Ich werde sie Ihnen zeigen, bevor Sie gehen.«
    »Gern. Es freut mich, dass sie Ihnen gefallen«, sagt Olivia bemüht fröhlich. Sie weiß nicht, wie lange sie den normalen, höflichen

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