Der Liebe eine Stimme geben
bin frei. Ich bin blauer Himmel, und ich bin Luft, gleite auf den Wellen des Windes, wirbelnd und wehend, schwerelos und warm unter der Sonne, über der Erde und dem Jungen auf der Terrasse.
Ich bin blauer Himmel, und ich bin Luft. Ich bin überall.
Ich bin blauer Himmel und Luft, die in Lungen bläst. Ich bin Atem. Ich bin Luft, die in und aus Eichhörnchen und Vögeln und meiner Mutter und meinem Vater und den grünen Blättern an den Bäumen strömt. Ich bin Luft, die sich in Körpern in Energie verwandelt, zu Teilen von dem wird, was darin lebt. Ich bin Herzen und Knochen und Gedanken, unausgesprochene Worte im Kopf des Jungen, der auf der Terrasse liegt, die Muskeln meines Vaters, der Schmerz meiner Mutter. Ich bin blauer Himmel und Luft und Atem und Energie, ein Teil von allen lebendigen Wesen um mich herum.
Ich sehe zu dem wolkenlosen Himmel hoch, und ich bin überall, verbunden mit allen lebendigen Wesen. Ich sehe hinunter auf den Jungen, der auf der Terrasse liegt. Er ist glücklich.
DREIZEHN
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David folgt Olivia in die Küche, bleibt ein wenig zurück und sieht sich um, während er geht, inspiziert vermutlich den Zustand der Böden und der Fensterrahmen, schätzt den aktuellen Wert der Immobilie ab. Er kann nicht anders. Sie schenkt ihm ein Glas Wein ein und reicht es ihm.
»Das Cottage sieht gut aus.«
»Danke. Hast du Hunger? Ich habe einen Salat gemacht«, sagt sie.
»Nein, ich habe unterwegs ein Hummersandwich gegessen. Wein genügt. Hier, das habe ich dir mitgebracht.« Er reicht ihr eine kleine, weiße Papiertüte.
»Aunt Leah’s.« Sie schüttelt lächelnd die Tüte. Sie weiß es, noch bevor sie sie öffnet und den riesigen Schokoladenfudge darin sieht.
»Gut siehst du aus«, sagt er.
»Du auch.«
Er sieht wirklich gut aus. Kariertes Baumwoll-Button-down-Hemd, offen über einem grauen T-Shirt und Jeans, dazu schwarze, italienische Lederschuhe. Sein Haar, schwarz, aber an den Schläfen und Koteletten angegraut, ist deutlich länger, als er es früher getragen hat. Dicht und glatt, wenn es kurz ist, zeigt diese neue Länge, ungekämmt und zerzaust, seine natürlichen Locken und Tollen. Es gefällt ihr.
Alles andere ist derselbe David wie immer. Seine olivfarbene Haut, seine dunkel umrandete Brille, sein ausgeprägter Adamsapfel, seine braunen Augen, wie ihre, aber schwärzer. Wie Anthonys. Dann bemerkt sie seine Hände, seine nackten Hände. Kein Ring.
»Entschuldige, dass ich nicht vorher angerufen habe, aber ich hatte das Gefühl, dich unbedingt sehen zu müssen, und ich dachte, du würdest mir vielleicht sagen, dass ich nicht kommen soll.«
»Setzen wir uns ins Wohnzimmer.«
Er folgt ihr, und sie setzen sich nebeneinander auf die Couch, mit höflichem Abstand. David sieht hoch zu der Wand über dem Kamin, auf das Foto von Anthony. Liebe, Freude und Schmerz zeichnen sich auf Davids Gesicht ab, alles auf einmal und alles zu gleichen Teilen, als würde jede Emotion darum kämpfen, ihn zu besitzen. Er atmet einmal lange und hörbar aus, versucht sie alle abzuschütteln. Dann nimmt er einen Schluck von seinem Wein.
»Ich ziehe um.«
»Wohin?«, fragt Olivia, prompt besorgt, er könnte hierher sagen.
»Chicago.«
Sie ist noch immer dabei, die Überraschung dieses unangekündigten Besuchs zu verdauen, die Tatsache, dass David hier ist und mit ihr auf der Couch im Wohnzimmer sitzt. Und jetzt das. David ist an der Südküste von Boston geboren und aufgewachsen, er hat am Boston College studiert und seitdem mit seinen Eltern und seinem Bruder ein Immobilienunternehmen geführt – er hat Beziehungen zu der Gegend von Boston, die gut und fest geknüpft sind. Wenn sie sich an der Haustür gewundert hat, dann ist sie jetzt schockiert.
»Warum Chicago?«
»Bin mir nicht sicher. Sully ist dort, und er sagt ständig, ich könnte kommen und für ihn arbeiten. Aber hauptsächlich will ich dorthin, weil es nicht Hingham ist. Ich muss einfach weg. Alles dort erinnert mich daran, dass ich Anthony verloren habe.«
Er sieht zu dem Bild über dem Kamin hoch, als würde er Anthony in das Gespräch mit einbeziehen, und dann zurück zu Olivia.
»Und dich, Liv. Alles dort erinnert mich daran, dass ich Anthony und dich verloren habe.«
Im Zimmer wird es still. Olivia trinkt nicht von ihrem Wein, isst nicht von ihrem Fudge. Sie blickt David fest in die Augen und wartet, verharrt still, hofft, nicht zu verscheuchen, was er endlich zu sagen bereit ist.
»Ich muss irgendwo anders neu anfangen, wo ich
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