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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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dich und Anthony nicht in jedem Zimmer sehe. Wenn ich auch nur an seinem Zimmer vorbeigehe, bin ich für den Rest des Tages erledigt. Es ist fürchterlich. Und es ist nicht nur das Haus, es ist jeder. Meine Eltern und Doug, sie alle reden in diesem traurigen, rücksichtsvollen Ton mit mir und sehen mich mit besorgten Augen an, und genau das würde ich an ihrer Stelle vermutlich auch tun, aber ich ertrage es einfach nicht mehr. Ich kann nicht ständig dieser traurige Typ sein, weißt du.«
    Sie nickt. Sie weiß es.
    »Ich kann nicht Tag für Tag dieser Typ sein. Ich will David Donatelli sein.« Seine Stimme versagt, als er seinen eigenen Namen ausspricht. Er wischt sich die Augen. »Ich kann mich kaum noch erinnern, wer ich früher war. Ich dachte, es würde leichter werden, aber das wird es nicht. Es wird nicht einmal annähernd leichter.«
    »Ich weiß, David. Ich weiß.«
    »Ich musste sogar das Waschpulver wechseln, weil ich nach euch beiden gerochen habe. Ist das nicht verrückt?«
    Sie schüttelt den Kopf. Es ist überhaupt nicht verrückt. Sie hat dasselbe getan.
    »Deshalb Chicago«, sagt er, als wäre es die logische Antwort, vier als Lösung für zwei plus zwei .
    »Der Umzug hat mir geholfen. Er wird dir auch helfen.«
    Nantucket hat sie davor bewahrt, die Leute sehen zu müssen, die sie früher einmal gekannt hat, jedermanns gut gemeinten, aber niederschmetternden guten Wünschen und mitleidigen Blicken zu begegnen, Anthonys Kissen zu riechen und seine Schuhe in ihren Händen zu halten, innerhalb der hübsch gestrichenen Wände dessen zu wohnen, was einmal ihr glückliches Zuhause sein sollte. Sie wundert sich, dass sie und David so viele ähnliche Gefühle hatten. Und sie wundert sich erst recht, dass er jetzt hier sitzt, im Stande, diese Gefühle so gut zum Ausdruck zu bringen, zu kommunizieren.
    Wenn doch nur.
    »Außerdem lebe ich allein in einem Vierzimmerhaus in einem Vorort. Es ist an der Zeit, mich in eine etwas sinnvollere Richtung zu verändern, oder?«
    »Verkaufst du das Haus?«
    Im Moment ist der Markt dafür nicht gut, und sie nimmt an, dass David an dem Haus festhalten, es vermieten und darauf warten wird, dass der Markt wieder anzieht.
    »Ich habe Doug schon damit beauftragt. Ich kann deine Sachen vorläufig bei ihm lassen, wenn du willst.«
    »Ja, okay.«
    »Was ist mit dir? Meinst du, du wirst umziehen?«
    »Wohin soll ich denn ziehen?«
    »Ich dachte, vielleicht zurück nach Georgia, in die Nähe deiner Mom und deiner Schwester.«
    Eine Zeit lang hat sie selbst gedacht, dass sie letztendlich zurück nach Hause ziehen würde, zurück in die Arme ihrer Mutter und in ihr Kinderzimmer, vor allem in jenen ersten kalten Wochen im März. Aber jetzt weiß sie, dass sie das nicht tun wird. Sie wird zu Besuch nach Georgia fahren, aber sie wird nie wieder dorthin zurückziehen. Sie würde genau denselben Dingen in die Arme laufen, vor denen David jetzt wegläuft – dem gut gemeinten Mitleid, den unaufhörlichen Erinnerungen an Trauer und Verlust.
    »Nein, mir gefällt es hier«, sagt sie.
    »Wie geht es dir? Finanziell, meine ich. Ich weiß, wir haben gesagt, sechs Monate, aber wenn du mehr brauchst –«
    »Ich komme zurecht. Ich fotografiere wieder. Ich mache Strandporträts. Im Moment verdiene ich genug.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, es ist mehr als genug.«
    Er sieht wieder zu Anthony hoch. »Du bist bestimmt gut darin.«
    Sie lächelt. »Bis jetzt hat noch niemand sein Geld zurückverlangt.«
    Er sieht sich im Zimmer um, wieder mit seinen Makleraugen, aber vielleicht auch, um nicht Olivia neben sich und Anthony an der Wand ansehen zu müssen. »Ich hätte gedacht, dass du in dem Cottage hier mehr verändern würdest.«
    »Hey.«
    »Nein, es ist hübsch. Ich meine nur, es sieht noch nicht nach dir aus.«
    In Hingham hatte sie jedes Zimmer gestrichen, sobald sie eingezogen waren. Goldgelb, blaugrau, meerschaumgrün. Warme und behagliche Wände, die jedes Zimmer einladend umrahmten. Hier sind alle Wände weiß und ungestrichen geblieben. Und die Möbel, Kunstwerke und Nippessachen sind wenige und neutral, dieselben Gegenstände, mit denen sie das Cottage in aller Eile ausstatteten, gleich nachdem sie es gekauft hatten, rechtzeitig für die ersten Mieter.
    »Das hier gefällt mir«, sagt er mit Blick auf die Glasschale auf dem Couchtisch, die randvoll gefüllt mit weißen, runden Steinen ist. Sie findet sie überall.
    »Danke.«
    »Es gefällt mir hier. Ich dachte immer, irgendwann würden wir

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