Der Liebe eine Stimme geben
schlau. Wenn er ihre Anwesenheit zur Kenntnis nimmt, wenn er auf das hört, was sie sagen, wenn er die Tür, um Input von außen zu empfangen, auch nur einen Spaltbreit öffnet, würde sie weit aufschlagen, und die Trompete und die Posaune und der Gesang und tausend andere aggressive Geräusche würden über ihn hereinbrechen, zusammen mit den Stimmen seiner Eltern. Und das wäre eine Katastrophe.
Jetzt wippt er schneller. Seine Augen, auch wenn sie sich noch immer auf nichts Bestimmtes konzentrieren, huschen jetzt hin und her. Sein Abwehrmechanismus funktioniert nicht mehr. Er beginnt auszurasten. Sie kann es spüren.
Genau wie sie es vermutet hat, springt er von seinem Stuhl auf und nimmt Reißaus. Er läuft einfach aus dem Zelt und auf den Rasen, in die Nacht hinaus. Beth sucht die Tanzfläche ab und findet seine Eltern, die eng umschlungen miteinander tanzen, langsam, nichts ahnend.
Ohne zu überlegen, lässt Beth ihr Champagnerglas stehen und läuft ihm nach. Er ist schnell, huscht den Steinweg hinunter, zurück zum Strand, wo die Trauzeremonie stattgefunden hat. Sie verliert ihn aus den Augen, als sie auf den steinernen Stufen ihr Tempo verlangsamt, wo sie aufpassen muss, dass sie nicht stürzt, aber sie beschwichtigt sich, während sie weiterläuft, dass er am Strand sein wird, wenn sie dort ankommt, und nicht verschwunden. Wenn er nicht am Strand ist, könnte er überall sein.
Sie erreicht den Sand, und da ist er. Er steht bis zu den Knien im Wasser. Er taucht die Hände unter die Wasseroberfläche und hält sie sich dann über den Kopf, sodass es spritzt. Er lächelt und kreischt, fuchtelt mit den nassen Händen, lässt Wasser von seinen Fingerspitzen spritzen. Er taucht die Hände wieder in das schimmernde, ruhige Wasser, macht einen noch größeren Spritzer. Er kreischt und lacht und wiederholt den Vorgang.
Beth steht da, die Hände in die Hüften gestemmt, während sie nach Luft schnappt, erleichtert, dass die Verfolgungsjagd vorbei und der Junge in Sicherheit ist. Sie überlegt, was sie jetzt tun soll. Sie wünscht, sie hätte seine Eltern verständigt, bevor sie losgelaufen ist, aber inzwischen haben sie vermutlich bemerkt, dass er verschwunden ist. Sie wird einfach bei ihm bleiben, bis sie kommen.
Der Junge schlendert am Ufer entlang und scheint nicht weiter ins Wasser zu gehen, nicht tiefer als bis zu den Knien. Gut. Beth hat nicht das Bedürfnis, ins eiskalte Meer zu springen, um einen ertrinkenden Jungen zu retten. Er fühlt sich nicht gestört von Beth, die jetzt nah bei ihm steht, und freut sich noch immer über seine spritzenden Hände, als Beth jemanden den Weg herunterkommen hört. Sie dreht sich um, erwartet, die Eltern des Jungen zu sehen, aber stattdessen ist es eine Frau. Beth kennt sie, aber vielleicht weil sie jemand anderen erwartet hat, kann sie sie nicht gleich einordnen. Dann bemerkt sie die professionelle Kamera in der Hand der Frau, und es fällt ihr ein. Es ist Olivia, ihre Fotografin.
Olivia läuft sofort ans Wasser, das Gesicht bleich vor Angst. Aber der Junge kreischt und lacht. Es geht ihm rundum gut. Olivia bleibt am Rand des Wassers stehen, schwer keuchend, die Hände in die Hüften gestemmt, lächelnd, während ihr Tränen über die Wangen strömen.
»Olivia.«
Olivia zuckt zusammen, fasst sich mit einer Hand ans Herz. »Mein Gott, Beth, ich habe Sie gar nicht gesehen.« Sie wischt sich Augen und Gesicht ab. »Kennen Sie seine Eltern?«
»Ich weiß, wer sie sind, aber ich kenne sie nicht.«
»Genau wie ich. Könnten Sie sie holen, während ich hier bei ihm warte?«, fragt Olivia.
Beth erklärt sich einverstanden, aber in dem Augenblick, in dem sie sich umdreht, tauchen seine Eltern am Ende der Steintreppe auf.
Seine Mutter, schon barfuß, läuft sofort ins kalte Wasser, sodass der Saum ihres schwarzen Kleides nass wird. »Owen! Du musst aufhören, ständig wegzulaufen! Wir wollen dich doch nicht verlieren!« Sie hebt Owen an den Achseln hoch und wirbelt ihn herum, zieht seine Füße durch die Wasseroberfläche, zeichnet Kreise um sie beide. Sein Gesicht verrät pure Freude.
Glück.
Olivia richtet ihre Kamera auf sie. Klick. Klick. Klick.
»Danke, dass Sie auf ihn aufgepasst haben«, sagt der Vater zu Olivia und Beth. »Ich war mir sicher, er würde auf dem Parkplatz sein.«
»Kein Problem«, sagt Beth.
Der Vater des Jungen, Beth und Olivia stehen ein paar lange Minuten nebeneinander da, schweigend und erleichtert, während sie zusehen, wie der Junge und
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