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Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Titel: Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbot
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Behauptungen, Zeugenaussagen, Indizien und Gutachten verborgen lag, die von den Staatsanwälten so, von den Verteidigern indes ganz anders interpretiert worden waren.
    Wie glaubwürdig war der medikamentensüchtige, labile Hauptbelastungszeuge? Hatte Fritz Büning tatsächlich die Wahrheit gesagt? In allen Punkten? Oder war er unter dem Druck der permanenten Verhöre bei der Kripo eingeknickt, hatte schließlich kapituliert und Dinge behauptet, die die Ermittler von ihm hören wollten? Oder von denen er angenommen hatte, die Polizei wolle sie hören? War es ihm wie Jürgen Fricke ergangen?
    Auch bei Georg Krafft hatte die Kripo viele Indizien zusammengetragen, die in der Summe aus ihm einen Verdächtigen machten – wie bei Erwin Reichenstein. Doch wie stichhaltig, wie integer waren diese Indizien? Nach dem Mord an Lieselotte Ingensandt und Wilfried Mehnert sollte Reichenstein feine Blutspritzer im Gesicht gehabt haben, behauptete Büning. Menschenblut? Oder hatte Reichenstein nur Wild erlegt und ausgeweidet? Und wenn es tatsächlich Blut gewesen sein sollte, warum hatte er sich das Blut dann nicht abgewischt? Wenn Büning nicht gelogen hatte, war der »perfekte Verbrecher« Reichenstein mit einem blutverschmierten Gesicht herumgelaufen. Stundenlang! Wirklich?
    Helga Kortmann war mit einer Hanfschnur gefesselt und mit einem Einmachring geknebelt worden. Gleichartige Utensilien hatte die Kripo in einem Versteck Reichensteins gefunden. Doch genügt dieses Indiz, um annehmen zu dürfen, Reichenstein habe derlei Hilfsmittel auch bei der Ermordung des Liebespaars benutzt? Ist dieser Schluss zulässig? Muss man darüber so denken?
    Die Gutachter hatten den Angeklagten als »in allen Situationen des Lebens eiskalt berechnenden Verstandes- und Willensmenschen ohne wesentliches Gefühlsleben« charakterisiert. So stellte man sich gemeinhin ein menschliches Monster vor. Damals. Und die Staatsanwälte hatten unterstellt, Reichenstein seien »die Morde seiner Persönlichkeit nach zuzutrauen«. Wie viele Menschen leben mitten unter uns und weisen gleiche oder ähnliche Persönlichkeitsstrukturen auf? Alles Mörder?
    Ein Indiz allein besagt also wenig, manchmal gar nichts. Doch es ist auch nicht erforderlich, dass ein einzelnes Beweisanzeichen für sich allein schon den Urteilenden volle Gewissheit verschafft. Maßgebend ist vielmehr bei mehreren auf die entscheidungserhebliche Tatsache hindeutenden Indizien die Gesamtschau. Alle be- und entlastenden Umstände müssen vorbehaltlos gewürdigt werden. Demnach können auch schwache Indizien sich gegenseitig stützen oder logisch aufeinander aufbauen und in der Summe einen Beweis darstellen – wenn die Kette der Beweisanzeichen lückenlos ist.
    Das Düsseldorfer Schwurgericht musste juristische Schwerstarbeit verrichten – eine klare Beweislage hatte sich auch nach sechswöchiger Verhandlungsdauer nicht ergeben, jedenfalls nicht in den wesentlichen Anklagepunkten. Das Gericht musste zu einer Überzeugung gelangen, die wahrhaftig, gerecht und tragfähig war. Der persönliche Eindruck der Urteilenden – Ursprung mancher Befangenheit – durfte keine Rolle spielen. Und den Verlockungen von Sympathie und Antipathie musste widerstanden werden.
    Nur Vernunft und Wissenschaft sollten über das Schicksal der Angeklagten entscheiden. Also: Hatte Erwin Reichenstein tatsächlich Menschen kaltblütig ermordet? Und würden die Indizien ausreichend Beweiskraft entwickeln können, um ihn verurteilen zu müssen?

43
    14. Dezember 1959, siebzehnter Verhandlungstag.
    Erwin Reichenstein war blass und ungewöhnlich ernst, als er den Gerichtssaal betrat. Kein Schmunzeln, kein Lächeln. Er zeigte überhaupt keine Gefühlsregung. Wieder wurde er seinem zweifelhaften Ruf gerecht, der ihm mittlerweile vorauseilte: »Der Mann mit der steinernen Maske«. Auch schien er genau jene Sachen zu tragen, die man in all den Wochen zuvor schon an ihm gesehen hatte: abgetragener brauner Anzug, beige Strickweste, kaffeebraune Krawatte, gestreiftes Hemd. Seine Anwälte begrüßte er mit einem flüchtigen Händedruck. Dann setzte er sich, stützte das Kinn auf die Faust und starrte durch die Verteidiger hindurch ins Leere. Der Angeklagte wirkte apathisch, geistesabwesend.
    Fritz Büning saß bereits in der Anklagebank. Der schmächtige Mann mit dem spitzen Kinn und den tief liegenden, dunklen Augen verzog ebenfalls keine Miene. Beiden Angeklagten war deutlich anzumerken, dass in wenigen Minuten sich ihr Schicksal

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