Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
Täterschaft des Angeklagten erbringen. Das gilt auch für die Fesselung beziehungsweise Knebelung der bei Helga Kortmann benutzten Gegenstände. Einmachringe von der Art, wie sie in übereinstimmender Weise an der Leiche einerseits und in dem Versteck des Angeklagten am Büdericher Friedhof gefunden worden sind, gibt es zu tausenden. Aber auch die Sisalschnur, die das Gericht in Augenschein genommen hat, ist ein gewöhnlicher Bindfaden, wie er in Haushaltungen, Geschäften und dergleichen üblicherweise verwendet wird. Zwar hat er die von dem Sachverständigen Dr. Martin überzeugend dargelegten Artmerkmale, die ihn von anderen Bindfadensorten deutlich abgrenzen. Aber selbst bei dieser Eingrenzung auf eine bestimmte Sorte einer Sisal-Hanfschnur ergibt sich noch keineswegs, daß der Besitzer des in dem Versteck am Büdericher Friedhof vorgefundenen Stückes Bindfaden notwendigerweise dieselbe Person sein muß, die die Hände der Helga Kortmann gefesselt hat.
Dies gilt auch dann, wenn es sich, wie der Sachverständige aus seinen – allerdings auf den Raum Wiesbaden beschränkten – Bemühungen um Erlangung eines Vergleichsstückes geschlossen hat, um eine verhältnismäßig seltene Art von Sisalschnur gehandelt hat. Denn jede Bindfadensorte pflegte nicht nur in einer Länge von wenigen Metern, sondern zumindest von mehreren 100, meist sogar vielen 1000 Metern hergestellt zu werden. Der Umstand, daß an der Leiche ein verkohltes Stück einer Sisal-Hanfschnur von gleicher Art wie in dem Versteck des Angeklagten am Büdericher Friedhof gefunden worden ist, ist daher weder allein noch bei Hinzunahme der übrigen Indizien geeignet, den Angeklagten zu überführen. Zwar wird dadurch der erhebliche Verdacht einer Täterschaft des Angeklagten begründet. Doch die Möglichkeit, daß die Paare Ingensandt/Mehnert und Kortmann/Seiffert von einem oder mehreren anderen Tätern getötet worden sind, kann nicht ausgeschlossen werden. Der Angeklagte Reichenstein war somit in diesen Fällen mangels Beweises freizusprechen.«
Wieder wurde es unruhig im Saal. Unmut und Unverständnis jener Prozessbeobachter war deutlich zu spüren, die von der Schuld Reichensteins überzeugt waren. Und das waren sie fast alle. Schließlich hatten die Medien wochenlang, monatelang, jahrelang einen (mutmaßlichen) Täter präsentiert, dessen Schuld vorweggenommen, das »Untier« ausgiebig durch das mediale Dorf getrieben. Nur das Hassobjekt Reichenstein konnte es gewesen sein. Andere Möglichkeiten waren nicht einmal in Erwägung gezogen worden. Selbst Kripo und Staatsanwaltschaft hatten ihre Überzeugung frühzeitig durchblicken lassen. Und jetzt das: Freispruch! Die »Liebespaar-Morde« sollten ungesühnt bleiben. Unfassbar.
Dr. Näke bemühte sich um eine weitere Klarstellung, diesmal in freier Rede. »Es ist nicht zu verkennen, dass hier ein enger Ring um den Angeklagten Reichenstein geschlossen ist«, erklärte der Vorsitzende mit betont ruhiger Stimme. »Aber ein verantwortungsbewusster Richter muss sich der Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten bewusst sein. Wenn es auch nur schwer vorstellbar ist, wir können nicht ausschließen, dass auch ein anderer diese Verbrechen begangen hat. Das Schwurgericht muss den Mut haben, die Konsequenzen zu ziehen.«
Schließlich begründete der Vorsitzende das verhängte Strafmaß. »Der Angeklagte Reichenstein hat sich außerhalb der menschlichen Gesellschaft gestellt, er muss aus ihr hinausgestoßen werden«, hieß es. Für »den furchtbaren Mord an Dr. Stürmann und zum Schutze der Öffentlichkeit« dürfe es nur eine Strafe geben: »Lebenslanges Zuchthaus«.
Der Angeklagte Büning hingegen habe zweimal bewiesen, dass er davor zurückgeschreckt sei, »sich an einem Menschenleben zu vergreifen«. Er habe »noch ein Gewissen«. Büning sei »noch kein verlorener Mensch«, und er habe den Entschluss gefasst, »mit seinem bisherigen Leben Schluss zu machen«. Mit Ausnahme des Überfalls auf das Liebespaar im Meererbusch wurden Büning vom Gericht »nach Überwindung erheblicher Bedenken« in allen Fällen mildernde Umstände zugebilligt und lediglich auf Gefängnisstrafe erkannt. Auch ein »Ehrverlust« blieb dem Angeklagten erspart. »Der weitere Lebensweg soll Büning nicht noch weiter erschwert werden«, begründete Dr. Näke die Entscheidung.
Die Angeklagten schlugen die Möglichkeit aus, das Urteil zu kommentieren. Reichenstein lächelte nur grimmig und machte eine wegwerfende Handbewegung. Noch einmal
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