Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
entscheiden würde. Überhaupt war es ungewöhnlich still im Saal. Die meisten Blicke richteten sich auf die kleine Tür zum Richterzimmer, die jeden Moment geöffnet werden konnte.
Schließlich war es so weit. Um 16.03 Uhr wurde die Tür endlich aufgestoßen. Der Vorsitzende erschien mit den Richtern und Geschworenen und sprach, vor seinem Stuhl stehend, jenen Satz, dem jeder entgegengefiebert hatte: »Ich verkünde das Urteil im Namen des Volkes.«
Dr. Näke begann von einem Blatt Papier abzulesen: »Der Angeklagte Erwin Reichenstein ist im Fall Dr. Stürmann des Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und versuchter Anstiftung zum Mord schuldig …«
Reichenstein saß da wie in Beton gegossen.
»… Weiter ist der Angeklagte eines gemeinschaftlichen schweren Raubes (Überfall auf den Bauern Thören), des versuchten, teils gemeinschaftlichen schweren Raubes in drei Fällen (Autofallen in Kalkum, Überfall auf die AOK in Oberkassel), der gemeinschaftlichen versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung (Überfall auf das Liebespaar im Meererbusch) sowie des schweren Diebstahls in zwei Fällen (Viehdiebstähle) schuldig. In den Fällen Ingensandt/Mehnert und Kortmann/ Seiffert wird er freigesprochen …«
Während im Zuschauerraum unüberhörbar geflüstert wurde, machten sich alle Journalisten eifrig Notizen. Nur Reichenstein gab sich nach wie vor ungerührt.
»… Er wird als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm für dauernd aberkannt. Die Sicherungsverwahrung wird angeordnet.«
Dann war Büning an der Reihe. »Der Angeklagte Fritz Büning ist eines gemeinschaftlichen schweren Raubes (Überfall auf den Bauern Thören), eines gemeinschaftlichen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tatbeteiligung beim Mord an Dr. Stürmann), einer gemeinschaftlichen versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und gefährlicher Körperverletzung (Überfall auf das Liebespaar) sowie eines gemeinschaftlichen schweren Diebstahls (Viehdiebstahl) schuldig. Er wird zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Auf diese Strafe wird die erlittene Untersuchungshaft angerechnet. Im übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.«
Büning wurde von Dr. Lützenrath beglückwünscht. Tatsächlich hatte das Gericht seine Geständnisfreudigkeit belohnt. Auch im Lager des Angeklagten Reichenstein wurden heftig die Hände geschüttelt – obwohl das verkündete Strafmaß einem Keulenschlag gleichkam. Neben der Höchststrafe obendrein noch den »Hammer mit Rucksack«. So wurde und wird im Knastjargon die Sicherungsverwahrung genannt. Dass ihm die »Liebespaar-Morde« nicht hatten nachgewiesen werden können, war nur ein Pyrrhussieg.
Dann setzte Dr. Näke zur Urteilsbegründung an. Der Vorsitzende betonte zunächst das Bemühen des Schwurgerichts um Objektivität: »Schon lange vor Prozeßbeginn hatte sich die Öffentlichkeit dieses Falles bemächtigt. Sie war der Meinung, bei Reichenstein handele es sich um den Liebespaar-Mörder. Bei dieser Sachlage war es die wichtigste Aufgabe des Gerichts, das Verfahren vor allen äußeren Einflüssen zu sichern. Es hat allein um die Erforschung der Wahrheit gerungen. Die Angeklagten mußten spüren, daß sie als Menschen gewürdigt wurden und daß ihnen eine faire Chance der Verteidigung gegeben war. Es sind dreiundneunzig Zeugen vernommen und die Gutachten von zwölf Sachverständigen angehört worden. Wer das Verfahren objektiv beobachtet hat, muß sagen, daß die Angeklagten einen fairen Prozeß hatten.«
An der Glaubwürdigkeit des Mitangeklagten Büning hege das Gericht keinen Zweifel. Es sei erwiesen, dass Büning zum Zeitpunkt seines Geständnisses keine Vergünstigungen oder sonstige Vorteile erhalten habe. Unter den Zeugen hätten sich achtundzwanzig Polizeibeamte befunden, von denen das Gericht den Eindruck bekommen habe, »daß niemand von ihnen fähig« sei, »die Wahrheit zu verfälschen oder zu verfärben«. Büning habe nach Ansicht der Ärzte nicht unter Medikamenteneinfluss gestanden, als er ausgesagt habe. Schließlich stünde man »vor dem Phänomen, daß drei Sachverständige in diesem Verfahren über einen Angeklagten ein einheitliches Gutachten abgegeben haben«. Es fehle auch »an jedem vernünftigen Motiv, ein solches Riesengebäude von Lügen« um
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