Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
zugedeckt. Ich glaube, ich wollte, daß es so aussieht, wie ein natürlicher Tod. Soweit ich mich erinnere, bin ich aus dem Haus raus, um erstmal weg zu sein. Gesehen hat mich niemand.«
Thomas Rung hatte den zunächst zweifelnden, dann staunenden Beamten Dinge offenbart, die nur der Mörder wissen konnte. Der 35-jährige Malergehilfe und Vater von zwei Kindern hatte Elisabeth Borgers ermordet – und nicht Jürgen Fricke. Der hatte lediglich ein Geständnis abgelegt, um sich »aus dieser Situation zu befreien« – weil ihm »die Fragen der Kripo zu viel geworden waren«. Und dann war er nicht mehr davon losgekommen. Zudem hatte das einst (v)erkennende Gericht Indizien falsch bewertet oder übersehen, eklatante Widersprüche waren unbemerkt geblieben: So hatte Fricke angegeben, die Rentnerin mit einem Holzbrett auf den Kopf geschlagen zu haben. Bei der Obduktion hingegen waren überhaupt keine Kopfverletzungen festgestellt worden. Er hatte auch behauptet, das Opfer sei an Schlägen und Stößen gestorben. Elisabeth Borgers aber war erwürgt worden. Überdies war von Fricke angegeben worden, das Fenster im Schlafzimmer geöffnet zu haben. Die Ermittler hatten jedoch ein verschlossenes Fenster vorgefunden. Und die Füße des Opfers hätten angeblich im Bett aufeinandergelegen. Doch auch dies hatte der Mann einfach erfunden.
Am 13. August 1996 wurde Fricke schließlich rehabilitiert, das Urteil gegen ihn aufgehoben.
Jede Wahrheitsfindung im Strafprozess ist lediglich eine Konstruktion von Realität – die prozessuale Wirklichkeit. Die Verlässlichkeit der Indizien und Beweismittel und die unbefangene Urteilskraft der Richter (und vormals der Geschworenen) entscheiden über das Maß an Authentizität der Konstruktion. Und über das Schicksal derer, die sich ihrem Urteil beugen müssen. Die Vorstellung eines objektivierten, allein auf Sachbeweismitteln gestützten Wahrheitsfindungsprozesses ist faszinierend – aber sie bleibt pure Illusion.
Georg Krafft, der junge Polizeibeamte und mutmaßliche »Hammermörder«, war noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Alle Indizien hatten auf ihn als Täter hingewiesen. Erst die Ergebnisse rechtsmedizinischer und ballistischer Untersuchungen hatten ihn entlastet: Das Blut, das an einem der Tatorte gefunden worden war und unzweifelhaft vom Täter stammte, war nicht von ihm, und mit seiner Dienstpistole war nicht auf die Opfer geschossen worden. Der richtige Täter konnte wenige Monate später ermittelt werden: Norbert Poehlke, ein 34-jähriger Polizeibeamter aus dem Örtchen Backnang-Strümpfelbach, nahe Ludwigsburg.
Wie wäre in diesem Fall wohl entschieden worden, wenn die Krafft entlastenden Gutachten nicht vorgelegen hätten? Wenn nur auf der Grundlage der ermittelten Indizien zu urteilen gewesen wäre?
Insbesondere das Indiz, laut Duden ein »Verdacht erregender Umstand«, kann den Wahrheit Suchenden in die Irre führen, ihn dazu verleiten etwas anzunehmen, das in Wirklichkeit unwahr ist. Denn beim Indizienbeweis werden die unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsachen lediglich aus anderen, zweifelsfrei feststehenden Tatsachen geschlussfolgert. Die fast, scheinbar, nicht selten auch tatsächlich unlösbare Aufgabe des Richters ist es also, in dem ihm übermittelten Trugbild vermeintlicher Tatsachen (Verteidigung ‹–› Staatsanwaltschaft) die wahren Konturen und Inhalte, den tatsächlichen Vorgang zu erkennen. Dazu muss er Fehlerquellen ausscheiden, darf nicht gegen Denkgesetze verstoßen, und er muss auf einer möglichst reichen Lebenserfahrung aufgebaute Schlüsse fast hellseherisch ziehen. »Hauptstück des Indizienbeweises ist nicht die eigentliche Indiztatsache«, urteilte der Bundesgerichtshof in seinem grundlegenden »Anastasia-Urteil« zur tatrichterlichen Überzeugung, »sondern der daran anknüpfende Denkprozess, kraft dessen auf das Gegebensein der weiteren Tatsache geschlossen wird.« Entscheidend sind also weder Herkunft noch Beschaffenheit des Indizienbeweises, sondern wie man darüber denkt.
Seit dem 10. Dezember 1959 wurde im Beratungszimmer des Düsseldorfer Schwurgerichts intensiv nachgedacht und diskutiert. Drei Berufs- und sechs Laienrichter sollten die Wahrheit herausfinden. Wer hatte Dr. Wilhelm Stürmann, Lieselotte Ingensandt, Wilfried Mehnert, Helga Kortmann und Peter Seiffert (und vielleicht auch Ursula Glatzek und Otto Brennecke) ermordet? Eine Wahrheit, die hinter einer nahezu unüberschaubaren Fülle von Beschuldigungen,
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