Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
körperlich attackiert oder getötet hatten und dabei von speziellen Bedürfnissen angetrieben worden waren: »Mordlust« oder »Haß«.
Doch alle kriminalistischen und kriminologischen Erfahrungen versagten, Vergleichbares hatte sich bis dahin in Deutschland nicht ereignet. Dafür stieß man auf den Autor des Bestsellers »Todeszelle 2455«. Caryl Whitier Chessman, am 27. Mai 1921 in St. Joseph, Michigan (USA), geboren, galt zu dieser Zeit als einer der berüchtigsten, gerissensten und intelligentesten Verbrecher der Vereinigten Staaten. Er war der Kopf der »Rotlicht-Banditen«, die im Frühjahr 1947 insbesondere junge Bewohner von Los Angeles terrorisiert und »in Angst und Schrecken versetzt« hatten. Von der Bande waren im Schutz der Dunkelheit in Ausfallstraßen ausnahmslos Liebespaare überfallen, beraubt und die Frauen vergewaltigt oder sonst missbraucht worden. Der Modus Operandi der Gang war immer gleich: Hatten die Täter geeignete Opfer ausgesucht, wurde das auf dem Dach ihres Wagens fest montierte rote Blinklicht eingeschaltet und eine Polizeikontrolle vorgetäuscht. Sobald die Opfer angehalten hatten, war der Mann niedergeschlagen und die Frau sexuell attackiert worden.
»Das Rätsel in der neuzeitlichen Geschichte des Verbrechens« war am 25. Juni 1948 von einem Schwurgericht in Los Angeles im »Case of the People of the State of California versus Caryl Chessman« zweimal zum Tode verurteilt worden. Chessman, der nie einen ordentlichen Beruf erlernt oder ausgeübt hatte, sollte in der Gaskammer sterben. Doch dieser Mann hatte es immer wieder verstanden, durch juristische Kniffe seine Hinrichtung aufzuschieben. Mittlerweile war er über die Grenzen Amerikas hinaus zu einem Politikum geworden.
In seinen Memoiren schrieb der Todgeweihte auch darüber, was er bei seinen Verbrechen empfunden hatte und warum es dazu gekommen war. Für die Düsseldorfer Kriminalisten eine lohnenswerte Lektüre, da sie bei ihrem »Liebespaar-Mörder« die gleichen Motive vermuteten. »Du stellst, wie erklärt wurde«, war zu lesen, »ein besonderes soziales Problem dar: das Problem der aggressiven psychopathischen Person, den kriminellen Psychopathen, oder, wie ihn die Fachleute derzeit nennen: den Soziopathen.
In- und außerhalb der Haft widerstrebt er auf listige oder gewaltsame Weise jeder Unterordnung und höhnt versteckt oder offen jeder Bemühung, ihn zu heilen. Gut und Böse haben für ihn anscheinend keine moralische Bedeutung. Es ist seine Spezialität, Gott, den Teufel, die Welt, die Gesellschaft und alle seine Mitmenschen zu verhöhnen.
Auch wenn er geistig und physisch über dem Durchschnitt steht, hat er dennoch nie einen Sinn für soziale Verantwortung entwickelt. In seinem persönlichen Umgang ist er zumeist kalt und undurchdringlich. Er ist bekannt dafür, nach allem zu schnappen, was er sich wünscht. Bei Gefängnismeutereien ist er zumeist der Rädelsführer. Und sobald er aus der Haft entlassen ist, kehrt er unverzüglich zu seiner dramatischen Art, alles zu schnappen, zurück.
Feindschaft ist für ihn so unentbehrlich wie die Luft zum Atmen. Unkritisch und böse, in einer psychologischen Hölle wie in einem Dschungel verstrickt, sieht er in der Gesellschaft den unversöhnlichen Feind; sie ist seiner Meinung nach eine Gesellschaft von Trotteln, großmäuligen Anschaffern, scheinheiligen Richtern und Uniformierten, die Zellentüren aufsperren und knurren: ›Dort hinüber!‹. Für diese Art von Gesetzesbrechern ist das Verbrechen ein furchtbares Niemandsland, ein verlockendes und bedrohliches Reich, wo man zornig kämpfend, von zahlreichen Speeren durchbohrt, untergehen kann.«
Horst Lemper hatte die Suche nach Vergleichsfällen zur Chefsache gemacht. Doch keine Fachdienststelle hatte sich auf das Fernschreiben »594/56« gemeldet, und in der deutschsprachigen kriminalistisch-kriminologischen Literatur wurden keine artgleichen Kriminalfälle beschrieben. Chessman blieb schließlich der einzige Verbrecher, der bei Tatausführung und Motiv die unterstellten Gemeinsamkeiten erkennen ließ. Und gerade deshalb war er so wichtig.
Der Kriminalhauptkommissar ging nämlich von der Überlegung aus, dass Verbrecher, die ähnliche Motive verfolgten und gleichartige Bedürfnisse befriedigten, auch Übereinstimmungen in ihren Lebensläufen haben konnten. Das erschien ihm plausibel. Aus den ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen filterte Lemper bestimmte Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale heraus, die
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