Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
An den »Lover-Lanes« herrschte wieder reger Betrieb, das Frühlingswetter lockte viele Pärchen hinaus in die Wälder. Mitunter fuhren mehrere Wagen zusammen und parkten an entlegenen Stellen, weil die jungen Leute glaubten, so vor Belästigungen oder Überfällen sicher zu sein.
»So kann es nicht weitergehen!«, echauffierte sich der Bürgermeister von Ilverich in der Rheinischen Post. »Düsseldorfer Autofahrer kommen nachts hier heraus, parken und benehmen sich ziemlich ungeniert. Sie haben sogar schon Frauen aus unserem Dorf belästigt!« Die vormals »grausamen Morde« hatten ihre Bedrohlichkeit eingebüßt, auch wenn der »moderne Peter Kürten« noch immer nicht gefasst war. Und kaum jemand nahm noch Notiz von den mitunter arg ramponierten Fahndungsplakaten, die immer noch stumm mahnten: »Mörder gesucht!«
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4. Mai 1956, 22.35 Uhr.
Es war stockdunkel. Manfred Holt nahm ein Streichholz in die Hand und entzündete es. »Lass doch!«, fuhr ihn seine Freundin an. Bettina Flachskamp hatte Angst, dass man sie würde entdecken können. Die 22-Jährige hatte nämlich etwas gehört. Ein Knacken. So, als wenn jemand auf einen Ast getreten wäre. Und sie glaubte ein Flüstern vernommen zu haben. Holt pustete die Flamme aus. Doch auch der 24-Jährige hatte nichts Verdächtiges erkennen können. Gebannt starrten sie in die Dunkelheit.
Die jungen Leute hatten sich wie immer ein von außen schwer einsehbares Areal im Meererbuscher Wald ausgesucht, um ungestört zu bleiben. Das Gelände befand sich etwa 30 Meter von der Bundesstraße 9 entfernt. Von dort aus waren es knapp anderthalb Kilometer bis nach Osterath, einer linksrheinisch gelegenen kleinen Ortschaft nahe Düsseldorf.
»Hast du das auch gehört?«, flüsterte Bettina Flachskamp. Holt nickte. Kein Zweifel. Es mussten Schritte sein, die sich von der Straße her näherten. Und dann ging alles sehr schnell.
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Horst Lemper kannte jede dieser Schlagzeilen, die er wie einen Schlag ins Gesicht empfand, die ihn auch in seinen Träumen verfolgten: »Noch keine Spur der Täter« – »Mordkommission tappt noch im dunkeln« – »Düsseldorfer Liebespaar-Mörder noch nicht gefaßt« – »Die Düsseldorfer Liebespaarmorde werden in absehbarer Zeit nicht aufgeklärt werden können« – »Was macht die Kripo?« – »Mordkommission ratlos« – »Wer wird das nächste Opfer?«.
Ein halbes Jahr war mittlerweile seit dem ersten Doppelmord vergangen. Und er konnte immer noch keinen Erfolg vorweisen. Seine Vorgesetzten drängten, die Presse quengelte, Kollegen anderer Dienststellen und Behörden stichelten. Für Lemper hatte es kaum ein freies Wochenende gegeben, täglich war er zwischen zwölf und vierzehn Stunden im Dienst gewesen. Sein Familienleben hatte sich im Wesentlichen auf die kurz bemessene Zeit des Frühstücks reduziert – wenn überhaupt. Und auch dann lautete die meist gestellte Frage: »Wann schnappt ihr den denn endlich?«
Täglich hatte Lemper nicht nur alle eingehenden Hinweise und Berichte zu lesen, sondern auch Ermittlungsaufträge zu vergeben und Strategien zu durchdenken. Knapp siebzig Beamte hingen an seinen Lippen, wenn er frühmorgens um 7 Uhr und spätabends um 22 Uhr die obligatorischen Dienstbesprechungen abhielt. Nur selten ließ er sich vertreten oder entschuldigen. Fast jeden Tag gab es Meldungen, die hektische Betriebsamkeit auslösten: Irgendwo an der Peripherie Düsseldorfs brannte wieder mal ein Heuschober, eine Frau oder ein junges Pärchen waren nicht nach Hause gekommen oder seine Kollegen hatten einen Sittenstrolch festgenommen. Er war immer gefragt, von ihm erwartete man einfach, dass er auf alles eine Antwort wusste.
Dauerstress und chronischer Schlafmangel forderten schließlich ihren Tribut. Horst Lemper erlitt während einer außerordentlichen Besprechung mit dem Leiter der Kripo und dem zuständigen Staatsanwalt einen Schwächeanfall. Der Polizeiarzt diagnostizierte schließlich einen »gravierenden Erschöpfungszustand« und verordnete einen zehnwöchigen Aufenthalt in einem Sanatorium. Lempers Posten übernahm auf Weisung des Kripo-Chefs »bis auf Weiteres« Kriminalhauptkommissar Franz Pöllinger. Der 49-Jährige war stellvertretender Leiter des 1. Kriminalkommissariats und von Beginn an dabei gewesen.
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Eine Dienstanweisung schrieb vor, dass dem Leiter der Mordkommission »alle Straftaten im Zusammenhang mit Liebespaaren in geeigneter Weise bekannt zu machen« seien. Franz Pöllinger saß an seinem Schreibtisch
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