Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
finden. Es war wie verhext. Man griff nach jedem Strohhalm. Selbst Hellseher und Wahrsager wurden ernst genommen und an jene Orte gefahren, wo die Leichen verscharrt worden sein sollten. An vielen Stellen wurde tief gegraben, doch erwiesen sich die Tipps der Amateurdetektive als »nicht verwertbar«. Die Fahndung schleppte sich dahin. Mittlerweile druckten die lokalen Tageszeitungen keine Artikel mehr, sondern nur noch knapp kommentierte Bilder, die »die Polizei im Einsatz« zeigten. Mehr gab es nicht zu berichten.
Das änderte sich am 5. März, als ein weiteres Gutachten des Bundeskriminalamtes vorlag. Eine Untersuchung der am Tatort sichergestellten Hülsen hatte nämlich ergeben, dass sie mit einer Pistole Marke »Walther« verfeuert worden waren. Nur bei dem Modell waren sich die Experten nicht sicher – es konnte eine »PPK« oder eine »PP« gewesen sein. Zwei Tage später wurde eine neuerliche Postwurfsendung für alle Haushalte in Opladen und Leverkusen gestartet. Die infrage kommenden Pistolentypen wurden auf den Handzetteln abgebildet, dazu Fragen formuliert: »(…)
• Bei wem wurde eine solche Waffe gesehen?
• Wer hat in letzter Zeit eine Walther-Pistole verkauft?
• Wem wurde eine Walther-Pistole angeboten?
• Wer hat nach dem 9. Februar 1958 eine Walther-Pistole gefunden?
• Wer machte sich durch den Kauf von 7,65er Munition verdächtig?«
Neben den äußerlichen Merkmalen glaubte die Kripo jetzt auch andere Aspekte zu kennen, die dem Gesuchten mehr Konturen geben sollten. Man vermutete, dass der Täter »bereits vorbestraft oder sonst kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten war«. Dies schlussfolgerten die Ermittler aus der kaltblütigen Vorgehensweise des Mörders und der Tatsache, dass er mehrere Stunden nach der Tat mit dem Wagen der Opfer herumgefahren und dabei ein beträchtliches Risiko eingegangen war. So verhielt sich »kein Anfänger«. Einen »örtlichen Bezug zum Tatort« legte die Abgeschiedenheit des Feldweges nahe, auf dem die Opfer angegriffen und getötet worden waren. Der Killer musste diese Örtlichkeit bereits vor der Tat gekannt haben. Die Vermutung der Fahnder: »Der Täter dürfte im Großraum Düsseldorf-Köln wohnhaft sein.«
Einen Zusammenhang mit der Düsseldorfer Mordserie hielten die Kriminalisten für »wahrscheinlich«; gleichwohl existierten lediglich Indizien, jedoch keine handfesten Beweise. Zudem waren bei sämtlichen Morden jeweils unterschiedliche Schusswaffen benutzt worden. Doch allein die geografische und zeitliche Nähe dreier »artgleicher« Liebespaar-Morde, die so in Deutschland bis dahin überhaupt noch nicht verübt worden waren, legte den Schluss nahe, dass es irgendwo einen gemeinsamen Nenner geben musste.
Mitte März hoffte die Mordkommission, den entscheidenden Schritt voranzukommen. »So sieht vermutlich der Täter aus«, meldeten alle deutschen Tageszeitungen und veröffentlichten eine Zeichnung des Verdächtigen. Der Zeuge Paul Rosenkranz – er war dem Mann in der Mordnacht begegnet – hatte sich bei seiner Beschreibung an einem Bekannten orientiert, der dem Verdächtigen ähnlich sah und sich dazu bereit erklärte, Modell zu stehen. Nach zahlreichen Änderungen war schließlich jenes Bild entstanden, das auch als »Kinosteckbrief« und im Fernsehen gezeigt wurde und von dem der Zeuge behauptete: »Es sieht dem Verdächtigen sehr ähnlich. Ich sehe den Mann noch plastisch vor mir!«
Insgesamt zweihunderteinundvierzig Hinweise erhielt die Kripo aus dem gesamten Bundesgebiet. Aber Wesentliches ergab sich nicht. Der norddeutschen Dialekt sprechende mutmaßliche Mörder mit den verräterischen Kratzspuren im Gesicht blieb ein Phantom. Auch die Mordwaffe konnte nicht aufgetrieben werden. Und die Leichen von Otto Brennecke und Ursula Glatzek blieben ebenfalls unauffindbar. Ende April 1958 musste die Kripo ihren Offenbarungseid leisten – die Ermittlungen mussten auf Kommissionsebene eingestellt werden. Ein derart immenser personeller und materieller Aufwand ließ sich nicht mehr rechtfertigen. Wieder hatte ein (oder der? ) »Liebespaar-Mörder« sich dem Zugriff seiner Häscher entzogen.
III. November – Dezember 1959
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Neue Ruhr Zeitung, 3. November 1959.
»Heute beginnt der Reichenstein-Prozeß
Der Mann mit der steinernen Maske
Heute steht Erwin Reichenstein vor dem Düsseldorfer Schwurgericht. Was ihm die Anklage vorwirft, ist ungeheuerlich. (…)«
Sämtliche Düsseldorfer Tageszeitungen bereiteten ihre Leserschaft
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