Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
gewissenhaft auf »den erregendsten Prozeß der deutschen Kriminalgeschichte« vor. Nicht nur die Bürger der Landeshauptstadt fieberten diesem medialen Großereignis entgegen, Journalisten aus ganz Deutschland und Europa hatten sich angesagt. Alles drehte sich um zwei Männer, die einmal Freunde gewesen waren und jetzt zu einem »Duell« mit »sensationellen Vorzeichen« antreten würden: Hier der charismatische, aalglatte, verschlagene Erwin Reichenstein, der (fast) alles abstritt, dort der labile, unbeholfene, unterwürfige Fritz Büning, der alles zugab. Nach dreieinhalb Jahre andauernden zähen und wendungsreichen Ermittlungen sollte es nun im Düsseldorfer Schwurgerichtssaal L 111 zum Showdown kommen. Endlich! Das Motto: Tribun gegen Vasall, Intelligenz gegen Glaubwürdigkeit, Kaltblütigkeit gegen Mitgefühl.
Und der Ausgang des Verfahrens erschien den meisten Kommentatoren offen. So schrieb die Rheinische Post: »Man hat Reichenstein schon den ›deutschen Chessman‹ genannt, denn auch er hat Nerven, an denen eine ganze Garnitur erstklassiger Kriminalisten und Rechtsanwälte scheiterte; auch er hat Tage und Nächte lang juristische Literatur gewälzt, um sich selbst herauszupauken und den Ring der Indizien zu sprengen, auf dem sich die fünffache Mordanklage aufbaut. Auch er trägt bei allen Verhören und Vernehmungen eine undurchdringliche Maske. Denn er weiß genau, daß man es schwer haben wird, ihm die Liebespaarmorde nachzuweisen.«
Auch der Anwalt des Hauptangeklagten gab sich optimistisch und ließ in den Medien schon mal die Muskeln spielen. »Reichenstein hat diesen Prozeß herbeigesehnt«, ließ Dr. König sich zitieren. »Je näher der Termin heranrückte, desto lockerer und gelöster fühlte sich mein Mandant.«
Stämmige Justizwachtmeister waren an den Türen postiert, und schon eine halbe Stunde vor Prozessbeginn hatten die insgesamt fünfzig in- und ausländischen Pressevertreter ihre Plätze einnehmen müssen. Sie wurden über die »Sondermaßnahmen« belehrt: Fotografieren war nur am ersten Tag und auch nur »für fünf Minuten« während der Mittagspause erlaubt; das Betreten oder Verlassen des Saales war »während der Verhandlung nicht gestattet«. Um den Bedürfnissen der ausländischen Journalisten entsprechen zu können, waren vier Beamtinnen der Bundespost mit zusätzlichen Leitungen in das Gerichtsgebäude eingezogen. So sollte eine »schnelle Nachrichtenübermittlung« gewährleistet werden.
Um 9.01 Uhr vereidigte der Landgerichtsdirektor Dr. Hans Näke zunächst die sechs Geschworenen und deren drei Vertreter. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die Laienrichter noch einen erheblichen Einfluss auf die Urteilsfindung. Nach Paragraf 263 der Strafprozessordnung musste »für eine den Angeklagten belastende Entscheidung eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der drei Berufsrichter und der sechs Geschworenen vorliegen«. Und das konnte zur Konsequenz haben: Sollte es einem der Angeklagten gelingen, fünf Geschworene von seiner Unschuld zu überzeugen, musste er freigesprochen werden – auch wenn alle Berufsrichter anderer Auffassung waren.
Die Anklage in der »Strafsache II 189/57 S 2 Ks 1/59« wurde durch die Staatsanwälte Franz Scherf und Dr. Horst Zimmermann vertreten. Rechtsanwalt Dr. Helmut König aus Krefeld verteidigte den Angeklagten Reichenstein, Rechtsanwalt Dr. Martin Lützenrath aus Wuppertal den Angeklagten Büning. Auf der Sachverständigenbank saßen Ministerial- und Landesmedizinalrat Dr. Ferdinand Lewenstein von der Landesheilanstalt Bonn, Prof. Dr. Herbert Klimke, Psychiater und Neurologe am Institut für Gerichtliche Medizin Münster sowie Obermedizinalrat Dr. Werner Fuhrmann aus Düsseldorf.
Die Spannung in dem hellen, modern eingerichteten Gerichtssaal war mit Händen zu greifen, die Blicke der zweihundert zugelassenen Zuschauer richteten sich gebannt auf eine kleine Seitentür, durch die die Angeklagten vorgeführt werden sollten. Es herrschte atemlose Stille. Jeden Moment konnten die Protagonisten erscheinen – der »Menschenjäger vom Rhein« und sein Intimus, der in den Schlagzeilen der Tagespresse gar nicht vorkam.
Um 9.12 Uhr war es endlich so weit, die Tür wurde geöffnet. Beide Angeklagten wurden von einem Justizwachtmeister begleitet. Erwin Reichenstein erschien im zerknitterten braunen Zweireiher und weißem Hemd, unter dem rechten Arm ein Aktenbündel. Der jetzt 31-Jährige wirkte ganz und gar nicht bedrohlich: ein offenes, freundliches
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