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Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers

Titel: Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbot
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Gesicht; wache, braune Augen; volles kastanienbraunes, »preußisch« kurz geschnittenes, nach links gescheiteltes Haar; hohe Stirn. Er lächelte fast belustigt, wirkte selbstsicher. Ein Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer. Man hatte sich das »Monster« ganz anders vorgestellt. Reichenstein würdigte die Menschen keines Blickes, er ging festen Schrittes zur Anklagebank, begrüßte seinen Verteidiger betont sachlich und begann sofort damit, sich Notizen zu machen.
    Ganz anders der mitangeklagte Ex-Ganovenfreund und Komplize Fritz Büning, der während der Untersuchungshaft einen Selbstmordversuch unternommen hatte. Klein und schmächtig hockte er verloren in der Anklagebank, unter dem kräftigen schwarzen Haarschopf ein schmales Gesicht, eine scharfe Nase, dunkle, stechende Augen. Auch der frisch gebügelte dunkelblaue Anzug konnte über die offenkundige Unsicherheit und Unbeholfenheit des Mannes nicht hinwegtäuschen. Der 28-Jährige wirkte fahrig und mied krampfhaft den Blick des Mitangeklagten Reichenstein. Nur hin und wieder sah er scheu in die Runde, sonst hielt er seinen Kopf gesenkt. Offenbar drückte ihn die unbequeme Doppelrolle, die ihm zugedacht worden war: Angeklagter und Kronzeuge.
    Sieben prall gefüllte Ordner umfasste das Aktenmaterial, auf 1381 Seiten hatte die Sonderkommission »Liebespaar-Morde« alle Verbrechen dokumentiert, die die beiden Angeklagten begangen haben sollten. Zunächst ließ Dr. Näke die Reichenstein betreffenden Passagen der 58 Seiten starken Anklageschrift verlesen.
    »(…)
    2./3.1.1951: gemeinschaftlicher Viehdiebstahl z. N. Bannen,
    6.7.1951: gemeinschaftlicher versuchter Raub z. N. Unbekannt (Autofallen),
    7./8.7.1951: gemeinschaftlicher versuchter Raub z. N. Hansen (Autofallen),
    7.1.1953: gemeinschaftlicher Mord z. N. Dr. Stürmann, versuchte Anstiftung zum Mord z. N. Littek,
    16.7.1953: gemeinschaftlicher Viehdiebstahl z. N. März,
    19.12.1953: gemeinschaftlicher Hühnerdiebstahl z. N. Hagen,
    4.5.1956: gemeinschaftlicher versuchter Raub z. N. Flachskamp/Röder,
    8.5.1956: gemeinschaftlicher versuchter Raub z. N. Greiner/Bast,
    1.11.1955: Mord z. N. Ingensandt/Mehnert,
    7.2.1956: Mord z. N. Kortmann/Seiffert«.
    Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft war Reichenstein ein »gefährlicher Gewohnheitsverbrecher«. Seine mutmaßlichen Motive: »Die Freude, Schrecken zu erregen, Menschenleben zu vernichten und der Wunsch, einen Raub zu ermöglichen.« Reichenstein nahm die furchtbare Anklage scheinbar gelassen zur Kenntnis, nur das gelegentliche Mahlen seiner Kiefer ließ darauf schließen, dass es in ihm arbeitete.
    Dem Angeklagten Büning wurde vorgeworfen, sich an vier der genannten Verbrechen beteiligt zu haben, so auch am Mord an Dr. Stürmann im Februar 1953. Für die Doppelmorde aber konnte Büning ein nicht zu erschütterndes Alibi vorweisen: Er hatte zu dieser Zeit in Untersuchungshaft gesessen.
    Mit gegrätschten Beinen stand der Hauptangeklagte Reichenstein wie festgerammt im Sitzungssaal, als er mit leiser, ungewöhnlich hoher Fistelstimme und betont höflich »zur Person« aussagte. »Ich hieß Erwin Konzen«, erklärte Reichenstein dem Gericht. »Ich bin ein lediges Kind. Meinen Vater habe ich nie gekannt. Ich wurde am 7. Juni 1928 in Düsseldorf geboren. 1941 hat meine Mutter geheiratet. Seitdem trage ich den Namen meines Stiefvaters Reichenstein.«
    Der Angeklagte sprach ruhig, gefasst, flüssig, knapp. Verlegenheitspausen gab es nicht. Vierzig Monate lang hatte er sich auf diesen Prozess vorbereitet – wie ein Anwalt. Seine Kindheit war »traurig«. Die Mutter – bei seiner Geburt gerade mal sechzehn Jahre alt – wollte ihn nicht haben und gab ihn zu seiner Großmutter. »Weil das nicht so gut klappte«, kam er als 7-Jähriger zu Pflegeeltern nach Waldbröl. Doch auch dort »gab es Probleme«, nach gerade einmal zwei Monaten musste er zurückgeholt werden. Schließlich wurde er in der Kinderpflegerinnen-Schule der Diakonissenanstalt in Düsseldorf-Kaiserswerth untergebracht. Dort blieb er vier Jahre.
    Im Mai 1939 fand er Aufnahme bei einem Bauern in Burbach bei Prüm in der Eifel. Nach drei Monaten riss er aus. Der Grund: »Die waren nicht nett zu mir.« Gerade zurückgekehrt, lief er im September abermals weg. »Weil meine Mutter mich nicht haben wollte«, steckte man den 12-Jährigen in das Evangelische Kinderheim in Düsseldorf. Nachdem er auch dort wiederholt ausgerissen war, wurde Reichenstein im Erziehungsheim Neu-Düsselthal untergebracht.

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