Der Liebespaar-Mörder - auf der Spur eines Serienkillers
»Da habe ich es nicht ausgehalten.« Im Oktober 1940 nahm ihn seine Mutter wieder auf.
Kurz vor seinem vierzehnten Geburtstag, im Frühjahr 1942, kam Reichenstein aus der Schule. Seine Leistungen waren mittelprächtig gewesen. Ein Düsseldorfer Bäcker nahm ihn in die Lehre. Als sein Brötchengeber eingezogen wurde, fand er bei einem Bauern im Sauerland Unterschlupf und Arbeit. Zwei Monate später lief er wieder davon, begann eine neue Lehre, machte wieder Schluss. Seine Begründung: »Ich bin davongelaufen, weil ich zu Unrecht geschlagen wurde.«
Als Halbwüchsiger beging Reichenstein seine erste Straftat: Als die Mutter 3000 Mark Entschädigung für einen Bombenschaden bekam, klaute er ihr 300 Mark. »Ich wollte zu einer Tante nach Halle fahren«, erklärte er dem Gericht, »dazu brauchte ich das Geld.«
Im März 1943 begann Reichenstein erneut eine Lehre als Bäcker, wieder in Düsseldorf. Aber auch diesmal schmiss er den weißen Kittel alsbald in die Ecke. »Ich sah ein, dass das für mich keinen Sinn hatte«, versuchte er sein abermaliges berufliches Scheitern zu rechtfertigen. »Ich hätte doch nie genug Geld gehabt, um mich selbständig machen zu können.«
Gegen Ende des Jahres 1944 wurde Reichenstein zum Reichsarbeitsdienst und am 14. Februar 1945 zur Wehrmacht einberufen. »Ich habe aber nicht gekämpft«, ließ er das Gericht wissen. Kurz vor Ende des Krieges geriet er in Tangermünde in Gefangenschaft, wurde jedoch wenig später wieder entlassen.
Nachdem er für eine kurze Zeit wieder bei seiner Mutter untergekommen war, zog es ihn zu Verwandten in die sowjetische Besatzungszone. Dort malochte er bei einem Bauern. Anfang 1947 kam Reichenstein nach Haldensleben. Zeitweilig war er bei einer »Musikalienhandlung« beschäftigt, zwischendurch verdingte er sich als »Grenzführer« und half Flüchtlingen über die Zonengrenze.
Am 3. Juni heiratete der damals 21-Jährige die Kindergärtnerin Klara Wollenhaupt. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Im Mai 1950 siedelte die Familie nach Düsseldorf über. Hier wohnten die Reichensteins »Im Theveser Feld«, einem rechtsrheinisch gelegenen Gartengelände in der Nähe des Nordfriedhofs; zunächst bei seiner Mutter, später »in einem Behelfsheim«, das der Angeklagte selbst zusammengezimmert hatte. Zunächst fand Reichenstein als Arbeiter in einer Weinkellerei sein Auskommen, ab Mitte 1951 dann als Registrator in einer Versicherungsgesellschaft. Von April 1952 bis zu seiner Festnahme war er als Maschinenarbeiter in verschiedenen Betrieben der Eisenindustrie tätig. Im Oktober 1954 zog er mit seiner Familie in eine Neubauwohnung auf der anderen Rheinseite, nach Düsseldorf-Heerdt.
Reichenstein schilderte seinen Lebenslauf bemüht emotionslos. Nur einmal ließ der Mann mit dem Pokerface eine Gefühlsregung erkennen – als der Vorsitzende nach den Geburtstagen seiner Töchter fragte. Reichenstein würgte an Tränen.
Schon zu diesem frühen Zeitpunkt des Verfahrens wurde deutlich, dass Reichenstein sich als geschickter Anwalt in eigener Sache erwies. Bei der Schilderung seiner Kindheit und Jugend versuchte er zu umgehen, zu verschweigen oder zu verharmlosen, was ihn als schwer erziehbares Kind hätte erscheinen lassen können. Er verlor kein Wort darüber, dass er noch als 10-Jähriger Bettnässer gewesen war. Er überging die bereits aktenkundigen Gutachten verschiedener Erziehungsanstalten, die »ausgeprägte motorische Unruhe«, »Triebhaftigkeit« oder »chronisches Lügen« beschrieben und prognostizierten, der damals 13 Jahre alte Junge »drohte trotz jahrelanger behördlicher Betreuung sittlich zu verwahrlosen«.
Für eine seiner Lehrerinnen war Reichenstein stets ein schwer zu durchschauender und kaum berechenbarer Schüler: »Er hat zwei Gesichter. Einmal ist er lerneifrig und anstellig, dann wieder geht er mit seinen Spielgefährten roh um, stiehlt und lügt. In seiner Umgebung fließen immer Tränen.«
Auch sein Klassenlehrer hatte wenig schmeichelhaft geurteilt: »Er kommt jeden Morgen zu spät zur Schule. Seine Großmutter sagt, dass er sich bis spät in die Nacht herumtreibt. Er kommt heim, wenn schon alles schläft. Am Morgen kann er dann nicht aufwachen. Wenn die Großmutter versuchte, ihn anzuziehen, schlug und trat er sie. Er lacht mir nur frech ins Gesicht, keine Strafe kann das ändern. Er tritt seine Mitschüler und rauft mit ihnen. Alle Kinder der Nachbarschaft fürchten ihn. Er stiehlt aus den Pulten der anderen Schüler.« All
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