Der Liebespakt
wollte er ihr etwas anvertrauen. Sie kannten sich schließlich seit Jahren. Und sie wussten voneinander, dass der andere diskret sein konnte. Das war in einer Geschäftsbeziehung eine Menge.
»Was ist los mit dir?«, fragte Toni vorsichtig. »Du wirkst bedrückt. Ist irgendetwas?«
Matthias Kammroth schaute unruhig umher, so, als suche er noch einen Fluchtweg, um der Situation zu entkommen. Doch er blieb sitzen. Dann holte er tief Luft und sagte: »Dein Mann ist im Hotel. Jetzt. Er hat vor einer Stunde eingecheckt. Er ist …«, jetzt stockte Matthias Kammroth ein wenig, »… nicht allein.« Er schaute Toni regelrecht hilflos an. »Es tut mir wahnsinnig leid, Toni.«
Georg war hier. In diesem Hotel. Mit Karoline. In dem Hotel, das sie vor zwei Jahren federführend eingerichtet hatte, für deren Innendesign sie hauptverantwortlich gewesen war. Wie viele Hotels gab es in Berlin? 450? 500? 530?
»Verrückt. Es gibt 618 Hotels in Berlin. Und ausgerechnet hier. Jeden verdammten Mittwoch …« Matthias Kammroth
brachte den Satz nicht zu Ende. Er schaute Toni besorgt an. Die starrte nach vorne ins Leere.
Seit drei Wochen wohnte sie nun wieder zu Hause. Drei Wochen lang hatte sie mit ungeheurer Disziplin ihre Situation verdrängt. Den Namen Karoline hatte sie aus ihrem Hirn gestrichen. Mit Georg war sie zuvorkommend, aber vollkommen sachlich umgegangen - so, als sei er ein fremder Mitbewohner, den die Mitwohnzentrale vorbeigeschickt hatte. Natürlich waren ihr ab und zu Kleinigkeiten aufgefallen. Wie Georg langsam wieder anfing, sich auf sie zu verlassen. Ein Anruf aus dem Büro hier, eine Bitte um Hilfe da. Er hatte wieder damit begonnen, Toni in sein Leben einzuplanen. Ja, und hin und wieder war auch sie in kleine, unabsichtliche Vertrautheiten zurückgefallen. Mal hatte sie seinen Lieblingssalat aus der Galerie Lafayette mitgebracht, mal ein englisches Lifestyle-Magazin, von dem sie wusste, wie gern er darin blätterte. Und am nächsten Tag war der Salat aus dem Kühlschrank aufgegessen, lag das Magazin aufgeblättert auf dem Couchtisch. Sie hatte es sich streng verboten, so etwas zu denken, aber tief drinnen hatte sie diese kleinen Zeichen als Hoffnungsmomente gewertet. Natürlich, bei Licht besehen hatte sie mit allem abgeschlossen, aber irgendwo da drinnen in ihr selbst, wo es nicht neonhell war, sondern dunkel und unübersichtlich, zog es sie immer noch zu ihm. Niemals hatte sie der Hoffnung irgendeinen Raum gegeben, nein, so verrückt war sie nicht. Disziplin bestimmte jetzt ihr Leben. Ihre Gefühle hatte sie gut im Griff. Aber jetzt spürte sie doch, wie sehr sie sich dort drinnen, wo die Gefühle lebten, gewünscht hatte, dass die Eheroutine - und sei sie noch so kühl verabredet, falsch und bezahlt - ihre eigene zwingende Kraft entfaltete. Aus der Vernunftehe wurde eine Liebesehe, so lief es doch in ihren Romanen immer. War da womöglich doch etwas dran?
Nein, offenbar nicht. Ihr Leben war kein Roman. Die Wirklichkeit
war schonungslos. Freilich hatte Georg es genossen, wieder eine Frau im Haus zu haben, an die er Kleinigkeiten delegieren konnte. Aber an seiner Haltung hatte sich nichts geändert. Die Ehe war für ihn gescheitert, er liebte eine andere. Mit der traf er sich, wann und wo er nur konnte. Aber ausgerechnet in diesem Hotel, zwischen den Möbeln, die sie eigenhändig zusammengestellt hatte? Warum musste das sein? Richtete sich das gegen sie, Toni?
»Ich brauche einen Wodka«, sagte Toni. »Am besten einen doppelten.«
Matthias Kammroth winkte die Kellnerin zu sich und bestellte für beide.
»Bist du nicht schwanger?«, fragte er leise.
»Nein, nicht wirklich. Eine lange Geschichte«, sagte sie nur. Dann kam der Drink. Toni stürzte ihn herunter.
Georg hatte in diesem Moment Sex. Langsam fing sie an, ihn zu beneiden. Wie lange hatte sie schon keinen Sex mehr gehabt? Absurd lange. Sie sah sich Matthias Kammroth an. Warum nicht mit ihm etwas anfangen? In ein anderes Zimmer dieses Hotels gehen und Spaß haben. Sie hatte weniger Erwartungen an ihn als seine Schauspielerinnen. Von der Ehe hatte sie erst mal genug. Matthias war genau der richtige Kerl, um Spaß zu haben. Das Elend für ein paar Stunden zu vergessen. Aber schon in dem Moment, als Toni all dieses dachte, wusste sie, sie war einfach nicht der Typ dafür. Sie hatte keine Lust, einfach so mit einem Mann zu schlafen, zumindest nicht im Moment. Sie war nicht wie Georg. Und überhaupt - ein Ehepaar hat mit anderen Partnern zeitgleich Sex im
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