Der Liebespakt
Die einem überallhin folgt, egal was passiert.«
»Das Leben ist wechselhaft. Früher haben die Leute ein Leben lang bei einem Chef, in einem Beruf gearbeitet, an einem Ort gewohnt, in einem Haus - sie zogen am Tag nach der Hochzeit ein und wurden am Ende tot hinausgetragen. Und danach benutzte die Witwe das Bett nie wieder, sie bezog es immer frisch, mit einem steifen, dekorativen Kopfkissen darauf. Aber so ist das heute nicht mehr. Alles ist im Fluss, die Dinge verändern sich. Die Liebe auch. Eine Zeit lang passt der eine Partner in das Leben, aber dann verändert man sich, und mit der Veränderung kommt auch eine neue Liebe. Das finde ich normal.« Georg klang ein wenig defensiv.
»Sie verstehen nicht, was für ein Glück Sie haben, mein Freund. Sie sind geblendet. Aber ich kann Ihnen kaum helfen. Sie müssen wohl die gleichen Fehler machen wie wir alle.«
Toni kam angerannt, sie sah so glücklich, so champagnerlaunig aus. »Komm mit, Georg, das musst du dir ansehen. In der Stadt sieht man nie so einen Sternenhimmel. Komm, komm«, drängelte sie. Georg erhob sich mit einem Seufzer. »Und nimm die Champagnerflasche mit«, rief sie noch.
»Ingeborg und ich ziehen uns zurück. Es war sehr angenehm, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Herr Jungbluth. Ich denke, es war nicht das letzte Mal. Und ich danke Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie Ihre Sekretärin hierhin mitgebracht haben. Sie haben mein Leben verändert, mein Freund. Das werde ich Ihnen niemals vergessen.« Ingeborg Schurz tauchte aus der
Dunkelheit auf und lächelte Aleksej Wolkow an. Der nahm ihre Hand, und zusammen schlenderten die beiden auf die schöne Jugendstil-Villa zu.
Georg zog sein Jackett aus und ließ es auf die Liege fallen. Dann schnappte er sich die fast volle Champagnerflasche aus dem Gras, nahm zwei Gläser vom Tisch und ging hinter Toni her, die weit vor ihm in die Tiefe des Parks schlenderte. Es war eine warme Nacht, unter seinen Füßen knackte ab und zu ein Ast. Die Flasche in seiner rechten Hand brachte den Arm zum Schwingen, links klirrten leicht die Gläser aneinander. Ihn überkam ein großes Gefühl von Freiheit und Glück - er hatte einen unglaublichen Vertragsabschluss in der Tasche, die Zukunft stand ihm offen, der Ort war wunderschön, der Champagner einer der teuersten, die er je getrunken hatte, und Toni … Ja, Georg fühlte sich jung und zwanglos wie lang nicht mehr. Prompt zog er mitten auf dem Rasen seine Schuhe aus und ließ sie einfach stehen. Barfuß rannte er hinter Toni her, das kühle Gras kitzelte angenehm seine Sohlen, ab und zu trat er auf etwas Hartes. Toni rannte lachend vor ihm weg, immer tiefer in den Park hinein. Als er sie eingeholt hatte, waren sie mitten auf einer Lichtung, drumherum war es stockdunkel, noch nicht mal die Lichter des Hotels waren noch zu sehen. Wie auf Kommando ließen sich Toni und Georg gleichzeitig zu Boden fallen. Flach auf dem Rücken liegend starrten sie in den Himmel. Der Anblick war überwältigend. Über ihnen lag der Weltraum.
Toni überfiel ein solches Gefühl von Weite, dass sie nach Georgs Hand griff. Der ließ es zu. Schweigend lagen sie nebeneinander und schauten nach oben. Bald entdeckten sie die ersten bewegten Punkte - ein schnelles Flugzeug, ein langsamer Satellit.
»Keine Nacht für Sternschnuppen«, sagte Toni ein wenig betrübt.
»Man kann nicht alles haben. Aber wir haben dafür Champagner«, erklärte Georg und goss die Gläser voll.
Glas um Glas leerten sie die Flasche. Eine Ameise kroch über Georgs nackten Fuß, aber der bekam das gar nicht mit. Auch Toni streifte ihre Flipflops ab. Die Milchstraße begann jetzt schon eine leichte Linksdrehung zu nehmen, so als habe jemand im All den Stöpsel herausgezogen und nun komme Bewegung in die Sternenwelt. Toni griff über Georg rüber, um sich den Rest aus der Champagnerflasche zu schnappen, die neben ihm stand. Den Arm über seinen Brustkorb, das Gesicht nah an seinem roch sie ihn zum ersten Mal seit Langem wieder. Georg roch immer nach frisch gefälltem Holz, obwohl er doch schon so lange in der Stadt wohnte. Aber es war, als hätte sich seine Kindheit im Sägewerk tief in Haare und Haut eingeprägt.
Es war dieser Geruch, den sie so liebte, der sie kurz zögern ließ. Dieses Zögern missverstand Georg, er hob Tonis Kinn hoch und küsste sie. Er küsste sie lange und leidenschaftlich, so wie man das unter diesem Sternenhimmel tun sollte, wenn man bei der zweiten oder dritten Flasche Champagner angelangt war.
Weitere Kostenlose Bücher