Der Liebespakt
ging um kurz nach sechs, die hatte immer Plätze frei. Der Champagnerrausch war verflogen, sie war vollkommen ernüchtert. Ihrem Noch-Ehemann Georg hatte sie einen Zettel in der Suite hinterlassen: »Keine Sorge, die Gala ziehe ich noch durch. Dann Scheidung.« Obwohl sie Georgs Leihwagen fuhr, machte sich Toni keine Sorgen um seine Rückkehr. Irgendwann nach neun Uhr würde sie Frau Schurz anrufen und sie bitten, ob Aleksejs Chauffeur Georg zum Flughafen fahren könnte. Sie war sich sicher, das war kein Problem. Toni machte das Radio an, die typische Nachtmusik für Fernfahrer. »I wanna be daylight in your eyes.« Nein, dazu war es nicht gekommen. Aber Toni vergoss diesmal keine Träne. Georg war einfach ein Idiot.
18
Kaiser Wilhelm II. blickte kaiserlich in den Raum. Der Schnurrbart war links und rechts perfekt gezwirbelt, aufgestellt mit Bartwichse. In der rechten Hand hielt er das Zepter hoch, die linke hielt den rot gefütterten Überwurf zurück und gab einen Blick auf den kaiserlichen Säbel frei. Die Beinhaltung des Kaisers war affektiert wie beim Tanztee, der rechte Fuß im hohen schwarzen Stiefel stand geziert vor dem linken. Dazu die hautengen weißen Höschen, darüber ein weißes Hemd, das bis zum Oberschenkel reichte, und als Abschluss eine Art leichte Rüstung aus Leder und Stoff.
Dieses Porträt hing nun schon ein ganzes Jahrhundert im Kaisersaal. Nur der Raum selbst war nicht mehr dort, wo man ihn einst errichtet hatte - im Herzen des Grand-Hotels Esplanade, einem der ehemals exklusivsten Orte Berlins, der für den Hochadel reserviert war. Ins Esplanade, ganz im Gegensatz zum Hotel Adlon, kam damals längst nicht jeder hinein, nur weil er Geld hatte. Zu Geld konnte jeder kommen, aber den richtigen Namen, den konnte man sich nicht verdienen. Man war in den Adelsstand geboren oder nicht. In den Salons und im Kaisersaal des Hotels Esplanade traf sich nur, wer dazugehörte. Besonders gerne tafelte der Kaiser hier mit seinen alten Kriegskameraden, lange Herrenabende, geprägt von Anzüglichkeiten, Zoten und Zigarrenqualm.
Inzwischen war der vollkommen renovierte Raum total ausgelüftet.
Von Zigarrenqualm keine Spur mehr, noch nicht mal eine Zigarette war mehr erlaubt. Das Fischgrätparkett war auf Hochglanz gewienert, der üppige florale Stuck an Wand und Decke war in mühevoller Feinarbeit gesäubert und neu vergoldet, jedes Kristall des Kronleuchters war geputzt worden. Patina suchte man hier vergebens - alles war auf Hochglanz gebracht. Es roch nach Raumluftspray aus dem Duftstecker. Die modernen Scheiben des Kaisersaals gaben den Blick frei auf den Innenhof des Sony Centers. Hauptsächlich Touristen flanierten hindurch - in kurzen Hosen und Sommerkleidern. Es war laut, lustig und überhaupt nicht mehr formal. Standesdünkel? Hier kam jetzt jeder rein.
Für Toni war der Anblick erdrückend. Vergoldeter Stuck, kolorierter Marmor, dazu große alte Spiegel mit blinden Flecken. Diese Miene des Kaisers selbstherrlich, gefällig. Dieser Raum bot so viel Theatralik - aber was war echt? Der Kaiser war damals ein verlorener, unsicherer junger Mann gewesen, ungeliebt von der Mutter, der linke Arm leicht gelähmt und im Porträt hinter dem Umhang versteckt. Fassade, alles nur Fassade. Toni hatte endgültig genug von der »Gartenlaube«-Zeit.
»Ich will einen anderen Ort«, sagte sie mit fester Stimme.
Tonis Begleiterinnen drehten sich erstaunt zu ihr um. Margot, Beate von Randow und Ramona Rottenbacher konnten nicht fassen, was sie gerade gehört hatten. Es war noch eine Woche bis zur Gala. Heute sollte die letzte große Besprechung sein, mehr nicht. Nur die Veranstaltungsfrau vom Sony Center, die auch den Kaisersaal verwaltete, blieb erstaunlich gelassen.
»Wieso das denn?« Margot fand als Erste die Sprache wieder.
»Der Raum ist zu gestrig«, sagte Toni knapp.
»Zu gestrig? Ich dachte, Sie lieben die Romane aus der ›Gartenlaube‹-Zeit? Gerade Sie müssten doch ein Auge dafür haben, wie wunderschön dieser Ort ist.« Ramona Rottenbacher,
die Vorsitzende des Berliner Hausfrauenverbandes, machte eine ausladende Geste und kam ins Schwärmen.
Beate von Randow unterbrach den Monolog ungehalten. »Als ich den Raum vor Monaten angemietet habe, habe ich das in Ihrem Sinne getan, Toni. Ich war noch ganz inspiriert von Ihrem schönen Gartenlauben-Fest in Ihrer Wohnung. Diesen Glanz hatte ich mir auch für die Gala vorgestellt. Und jetzt sagen Sie, das sei zu gestrig?«
»Ich will etwas Modernes. Total
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