Der Liebespakt
Neues«, sagte Toni. »Der Haushaltsführerschein ist schon altbacken genug!« Frau Rottenbacher zuckte zusammen, aber Toni schien das nicht zu bemerken. »Bietet das Sony Center nicht einen frischeren Ort, einen, der nach Zukunft aussieht? Nicht nach bleierner Vergangenheit wie dieser Kaisersaal?«
Die Frauen hörten jetzt Tonis Wut und begriffen instinktiv, dass es hier gar nicht um den Saal oder die Gala ging. Toni war wütend, am meisten auf sich selbst. Kopfüber hatte sie sich in das 19. Jahrhundert gestürzt, angeführt von der Haubenfrau. Sie hatte ungewohnte Gefühle zugelassen - nicht nur Liebe und Leidenschaft, auch Leidensfähigkeit, Treue, Enthaltsamkeit, in gewisser Weise sogar Sittsamkeit (Hatte sie sich zum Trost eine schnelle Nummer gesucht? Nein!). Die Romane waren im rechten Moment zu ihr gekommen. Über viele Wochen hatten sie ihr Kraft gegeben: diese unglücklichen Ehefrauen, die halb hingesunken auf dem Parkett lagen, nur der Kopf ruhte noch auf einem eleganten Stuhl mit verschnörkelter Rückenlehne, während die Tränen das Polster nässten. Sie war genau wie diese Frauen, die sich weiter der Illusion ihrer Liebe hingaben, obwohl der verblendete Ehemann den wahren Wert, die wahre Größe seiner Ehefrau nicht erkannte. Georg hatte mit ihr im Park des Ayurveda-Hotels geschlafen, und er hatte dabei so liebevoll gewirkt wie in den ersten Tagen ihrer Ehe. Aber gedacht
hatte er dabei offensichtlich an Karoline. Hatte er sich seitdem gemeldet? Nein, kein Wort, keine Nachricht. Nur eine nichtssagende SMS: »Wo steckst Du?«. So eine SMS würde man auch seinem Assistenten schreiben, wenn der nicht auftauchte. All das Leiden hatte zu nichts geführt. Diese Ehe war nicht zu retten. Noch dazu war sie ihren Job los und im Moment ohne Einkünfte. Diese ganze Gartenlauben-Idee war nichts weiter als ein Rückschritt, ein grandioser Fehler gewesen. Das 21. Jahrhundert hatte sie wieder. Bald würde sie beruflich durchstarten. Eine geschiedene Frau sein. Sie würde es machen wie alle. Die Zeit der altmodischen Sonderwege war vorbei.
»Sie wollen also einen zeitgemäßeren Ort buchen?«, sagte die Veranstaltungschefin vom Kaisersaal immer noch erstaunlich freundlich. »Ich hätte da etwas, genau gegenüber. Die Adresse auf der Einladung stimmt also weiterhin - Sie können problemlos so kurzfristig die Location wechseln. Der andere Ort ist sogar frei.«
Gemeinsam überquerten die fünf Frauen den Innenhof und betraten den Fahrstuhl des gegenüberliegenden Gebäudes. Die Fahrt ging ganz nach oben. Die höchste Etage der Center Residence, wie sich dieser Appartement-Komplex nannte, stand schon lange leer. Eigentlich hatten hier Luxusappartements für Superreiche entstehen sollen. Große Wohnungen mit Concierge-Service. Die Mieter mussten sich um nichts kümmern - man tankte auf Wunsch das Auto voll, füllte den Kühlschrank, holte die die Wäsche ab, putzte die Schuhe. Doch im Laufe der Jahre hatte sich herausgestellt, dass es in Berlin solche superreichen Mieter kaum gab. Wer in der Hauptstadt Geld hatte, der mietete nicht, sondern kaufte sich eine Villa am Schlachtensee oder in Potsdam, plus Personal: Haushälterin, Kindermädchen, Köchin, Putzfrau, Fahrer. So blieb die Center Residence auf vielen Luxuswohnungen sitzen, der Leerstand war beachtlich. Und
deshalb vermietete man die oberste Etage als Veranstaltungsort.
Alle außer Toni und der Veranstaltungschefin betraten mit einer gewissen Skepsis den Raum. Er war groß und kahl. Kein Stuck, kein Fischgrätparkett, keine Kronleuchter. Hier gab es nur moderne kleine Halogenlampen. Nichts war hier oben massiv - der Raum bestand aus Trockenwänden und einer eingehängten Decke.
»Das hat doch keine Atmosphäre«, murmelte Frau von Randow. Bis ihr Blick auf die Fensterfront fiel.
Unter ihnen lag, in seiner üppigen, sommerlichen Pracht, der Berliner Tiergarten. Grün, grün, grün - nur durchschnitten von den breiten Prachtstraßen, die auf die Siegessäule zuliefen. Jetzt entdeckte Beate von Randow auch den Reichstag, das Brandenburger Tor. Es war wieder ein völlig anderes Hauptstadtbild als das von Georgs und Tonis Wohnung aus. Nicht so viel Hochhaus und blinkender Fernsehturm. Sondern ganz harmonisch, eine Großstadt, deren Zentrum in gepflegte Natur gebettet ist.
»Das ist aber schön«, sagte Ramona Rottenbacher versonnen. Beate von Randow stimmte ihr zu.
Toni war dagegen mehr von der gegenüberliegenden Aussicht fasziniert. Auf der anderen Seite des
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