Der Liebespakt
Bewegung an der frischen Luft und im Schwimmbad. Aber nirgends - weder im Wartebereich vor den stillen Behandlungsräumen noch im Schwimmbad oder im Park, auch nicht abends im Restaurant - war einer von ihnen auf Aleksej Wolkow
getroffen. Zwei Tage lang nicht. Doch, sagte die Rezeptionistin nach Georgs sechster Anfrage etwas streng, der Russe sei im Haus, aber er genieße die Ruhe auf seinem Zimmer. Er wolle wohl nicht gestört werden. Und sie schob noch mahnend hinterher, das »Waldschlösschen« sei ein stiller Ort, ein Ort der Ruhe und Einkehr, kein Ort, wo man hinfahre, um sich kennenzulernen. »Da buchen Sie lieber die Aida.«
Nun aber hatte Frau Schurz sogar schon mit ihm gesprochen. Georg hatte gleich hinübergehen wollen, war aber von Toni zurückgehalten worden. Sie hatte die Veränderung genau beobachtet, die in kürzester Zeit in diesem Mann vorgegangen war. Finster hatte er ausgesehen, als er im Bademantel das Restaurant betreten hatte. Nun saß er glücklich vor sich hin lächelnd da und schaute versonnen in den Garten. Keine Frage, der Mann war verliebt.
»Es ist wie bei ›Eins, zwei, drei‹«, sagte Toni fasziniert.
»Du meinst diese Fernsehsendung damals mit Michael Schanze?« Georg stocherte etwas lustlos in seinem Getreidebrei. Ein ordentliches Brötchen wäre ihm jetzt lieber. Oder ein gutes Hotelfrühstück. Diese vielen Gewürze im Essen und in den Getränken machten ihn ganz schummrig im Kopf. Vermutlich spendeten Millionäre am Ende ihr ganzes Vermögen an eine obskure Ayurveda-Stiftung, weil sie von der Muskatnuss gaga in der Birne waren.
»Nein, Idiot«, Toni musste lachen, »ich meine den Film von Billy Wilder. Spielt in Berlin nach dem Krieg. Die hübsche Tochter des Coca-Cola-Oberbosses aus Amerika verliebt sich in Ost-Berlin in einen strammen jungen Kommunisten. Horst Buchholz. Erinnerst du dich nicht mehr? Ein wirklich lustiger Film.«
Georg dachte kurz nach. »Doch, jetzt wo du es sagst. Fährt Horst Buchholz nicht mit einem Luftballon am Auspuff durch
Berlin zum Brandenburger Tor, das die Zonengrenze war? Nach und nach blasen die Abgase den Ballon auf. Plötzlich sieht man, auf dem Ballon steht ›Russki go home‹. Die sowjetischen Soldaten haben ihn sofort verhaftet.«
»Otto Ludwig Piffl«, sagte Toni.
»Was?«
»Horst Buchholz spielt in dem Film Otto Ludwig Piffl. Leider hat der inzwischen die Tochter des Coca-Cola-Bosses geschwängert. Piffl muss also schleunigst wieder her. Und da kommt diese deutsche Sekretärin: Lilo Pulver.«
Jetzt sah Georg alles klar vor sich. »Lilo Pulver tanzt in einem gepunkteten Kleid auf dem Tisch eines Ost-Berliner Lokals vor den russischen Kommissaren, bis die Kronleuchter wackeln! Sie macht die Russen so scharf, dass sie den Piffl rausrücken.«
»Ich sehe, du erinnerst dich«, sagte Toni.
»Frau Schurz würde niemals auf dem Tisch tanzen. In tausend Jahren nicht«, meinte Georg.
»Also pokern kann sie überraschend gut. Lass sie mal machen. Vertrau mir, Frau Schurz hilft dir da raus. Und jetzt gehen wir zu unserer Synchronmassage.«
Georg ließ es geschehen. Was sollte er auch tun? Und vielleicht hatte Toni ja recht. Vielleicht verstand eine Frau besser, was da ablief mit Frau Schurz und Herrn Wolkow. Auch bei Georg begannen die Umgebung, die Stille, das andere Essen, die Massagen zu wirken. Statt weiter wie ein gefangener Tiger das Hotel abzulaufen, gab er sich dem Ayurvedaprogramm hin und ließ sich massieren. Doch danach nahm er pflichtbewusst seinen BlackBerry und verließ mit dem Auto das Gelände, um seine E-Mails zu checken. Auf dem Hotelgelände selbst gab es keinen E-Mail-Empfang. Wenige Kilometer später war er endlich im Netz. Doch was er las, war nicht gut. Randow machte in der Konzernzentrale heftig Stimmung gegen ihn, die ersten Vorstandmitglieder
drohten zu kippen und sprachen davon, ihre Stimme einem anderen Kandidaten zu geben. Überraschenderweise war plötzlich Tom als kommender Vorstandsvorsitzender im Gespräch. Vermutlich, weil viele Vorstandsmitglieder ihn von klein auf kannten, schon mit seinem Vater gesegelt waren. Vor zwei Tagen noch hätte Georg jetzt sofort seine Sachen gepackt und wäre nach Berlin zurückgeeilt, um die Sache zu retten. Aber er blieb ruhig, fokussiert. Würde er die von Aleksej Wolkow unterschriebenen Verträge bringen, war er unantastbar. Womöglich war alles schon auf gutem Wege. Irgendwie beruhigt - obwohl es dazu überhaupt keinen Anlass gab - fuhr er zurück ins »Waldschlösschen«.
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