Der Liebespakt
meinen Ring aus dem Fahrstuhlschacht geholt und in ihren Bau verschleppt«, fluchte Toni.
»Elstern verschleppen glitzernde Dinge, nicht Ratten. Die stehen mehr auf Essbares«, meinte Georg, ganz Kind vom Lande.
»Du kennst die Großstadtratten nicht. Die vergreifen sich an allem. An fremden Eheringen. An fremden Ehen - ach,
egal …«, brach Toni ab, »was mache ich denn nur? Mein Ehering ist weg. Abgehauen in seiner letzten Woche.«
Georg schaute bei dem letzten Satz ganz seltsam. Doch dann sagte er aufgeräumt: »Wir können ja versuchen, ihn aus dem Schacht rauszuholen.«
Und schon war Georg im Flur verschwunden, um seine Werkzeugkiste zu holen. »Nimm noch die Taschenlampe mit, Toni«, rief Georg aus dem Flur. »Im Fahrstuhlschacht ist kein Licht.« Toni hörte ihn pfeifen. Warum war der Mann, verdammt noch mal, so gut gelaunt?
Die Wahrheit lautete: Georg war glücklich. Nicht nur beruflich. Mit dem unterschriebenen Vertrag in der Konzernzentrale aufzutauchen, war einem Triumphzug gleichgekommen. Peter von Randow traute sich seit Tagen kaum mehr aus dem Büro. Georg merkte, wie alles im Konzern sich nun endgültig auf ihn ausrichtete - wie Eisenspäne, die es zu einem neuen, stärkeren Magneten hinzieht. Randows Macht wurde von Tag zu Tag schwächer. Es musste eine Qual für ihn sein, täglich zu erleben, wie er weniger und weniger hofiert wurde. Doch Georg empfand kein Mitleid, dafür hatte Randow ihn zu sehr gequält. Aber am Ende war er der Verlierer. Der berufliche Erfolg - er machte Georg zufrieden, aber nicht glücklich. Die Tage, die er mit Toni im Hotel verbracht hatte, die hatten ihn glücklich gemacht. Kein spektakuläres Glück, wie er es manchmal mit Karoline erlebt hatte, Momente, in denen er immer nur »Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn« gedacht hatte. Er, der Kerl aus dem Sägewerk, hatte diese unglaublich atemberaubende Frau im Bett. Mit Toni war es im Park anders gewesen. Ein angenehmes, sehr vertrautes Glück. Ein glückliches Glück. Mit dem Werkzeugkasten in der Hand kehrte Georg ins Wohnzimmer zurück. Toni hatte schon die Taschenlampe in der Hand.
Georg schloss unten die Kellertür auf. Auf der Treppe runter
in den Keller roch es muffig und feucht. Und nachdem schon das Treppenlicht kaputt war, blieb es auch unten stockdunkel.
Wie Einbrecher leuchteten sie mit der Taschenlampe die Wände ab auf der Suche nach der Metallplatte, hinter der sich ein Loch verbarg, durch das man Zugriff auf den Grund des Fahrstuhlschachts hatte. Georg kannte diesen Zugang noch, weil ihm kurz nach dem Einzug mal eine Kreditkarte in den Schacht gefallen war. Der schwache Kegel der Lampe - die Batterie schwächelte bereits erheblich - geisterte über die Ziegelwand. Sie war vor vielen Jahren, vielleicht einem halben Jahrhundert, mal geweißt worden, doch inzwischen hatten Staub und Dreck sie grau werden lassen.
»Nett hier unten«, flüsterte Toni.
»Heimelig«, bestätigte Georg.
Der Lichtschein erfasste eine grüne Metallplatte, die mit vier Schrauben in der Wand verankert war. Während Toni den Lichtkegel ausrichtete, machte sich Georg mit dem Kreuzschraubenzieher sofort an die Arbeit. Er kam schnell voran, fast so schnell wie ein Mechaniker. Man merkte Georg an, er hatte schon viel in seinem Leben geschraubt. Allein, dass er damals einen gut gefüllten Werkzeugkasten mit in den gemeinsamen Haushalt brachte, hatte Toni nach ihrer Heirat schwer beeindruckt. Die Männer, mit denen sie davor ein Verhältnis gehabt hatte, oder eine Beziehung, wie es im Psychojargon hieß, hätten höchstens einen Dosenöffner oder eine Haschpfeife beisteuern können.
Vorsichtig drehte Georg nun endgültig die vier herausstehenden Schrauben aus der Wand, verstaute sie ordentlich in einem leeren Fach seines Werkzeugkoffers (»Damit wir sie nachher wiederfinden«) und zog die Metallplatte von der Wand. Das Loch war etwa so groß, dass man seinen Kopf in den Schacht stecken konnte.
Toni leuchtete in den Fahrstuhlschacht, der Fahrstuhl hing direkt über ihnen im Erdgeschoss. Tiefer konnte er nicht kommen, außer er stürzte ab. Nur die langen, dicken Kabel, die unter dem Fahrstuhl hingen, reichten fast bis zum Boden des Schachts. Jetzt stieg jemand im Erdgeschoss ein, man hörte Schritte in der Kabine, die Türen schlossen sich, und majestätisch langsam setzte sich der Fahrstuhl in Gang und fuhr nach oben. Die Kabel verschwanden hoch im Schacht.
»Nun zu meinem Ring«, sagte sie. Suchend leuchtete sie den Boden des
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