Der Liebespakt
Sony Centers. Es war nach 1 Uhr morgens. Weder von Georg noch von Tom war etwas zu sehen.
»Scheiße«, fluchte Margot.
Da hörte man eine Huporgie aus Richtung Tiergarten, dort wo der Tunnel zum Hauptbahnhof aus der Erde kam.
»Komm«, rief Toni und rannte in die Richtung. Tatsächlich sahen sie noch, wie Tom über die Kreuzung lief, während Georg im Tiergarten verschwand. Toni riss ihre Pumps vom Fuß und raffte das Kleid, um schneller voranzukommen. Auf dem Asphalt ließ es sich gut laufen, aber auch der Rasen des Tiergartens war angenehm unter den nackten Füßen. Der nächtliche Verkehr auf dem Kemperplatz war inzwischen zum Erliegen gekommen.
Die Autofahrer, hauptsächlich Taxifahrer, wunderten sich, nachts eine Schlange aufgeregter Menschen in Abendkleidung zu sehen, die vom Sony Center in den Tiergarten hineinliefen.
Im Tiergarten war es stockdunkel, doch zum Glück war der Mond am wolkenlosen Himmel fast voll und tauchte die Bäume und das Gras in unheimliches bläuliches Licht. Vor sich sahen sie Tom rennen, der sein schwarzes Smokingjackett irgendwo auf dem Weg ausgezogen hatte und nun im leuchtend weißen Hemd durch die Nacht rannte, immer dicht Georg auf den Fersen. Es ist wie in meinen Romanen, dachte Toni. Jetzt renne ich diesen beiden Männern hinterher, als würden sie sich gleich duellieren. Nachts, bei Mondenlicht, im Berliner Tiergarten.
Vor ihnen blieben die beiden Männer plötzlich stehen. Margot und Toni rannten schneller. Inzwischen hatte auch Karoline aufgeholt. Die drei Frauen kamen fast zeitgleich an der Lichtung an. Tom und Georg stützten sich beide vornübergebeugt an den Knien ab und rangen nach Luft. Immer mehr Leute trafen jetzt an der Stelle ein, und es bildete sich ein Ring um die beiden Männer. Die richteten sich jetzt auf.
»Du, du … du Arschloch«, schrie Tom, holte aus und schlug Georg ohne Hemmungen mit der Faust mitten ins Gesicht. Toni hatte noch nie gehört, wie ein Nasenbein bricht. Aber es war keine Frage, man konnte es hören, der Knochen krachte richtig. Sofort begann Blut aus der Nase zu strömen, tropfte hinunter, man sah jetzt Blutflecke auf Georgs weißem Smokinghemd. Aber er stand noch aufrecht, trotz des harten Schlages, und hatte die Fäuste erhoben. Man sah an der Körperhaltung, dies war nicht die erste Schlägerei seines Lebens. Defensiv hielt er jetzt die Fäuste vors Gesicht. Er hatte offensichtlich nicht vor, Tom zu schlagen. Zumindest noch nicht.
»Ich dachte, wir wären Freunde. Ich kann nicht glauben, dass du hinter meinem Rücken mit Karoline gevögelt hast«, brüllte Tom. Jeder hier hatte seine Worte gehört. Jetzt rückten die ersten Zuschauer von Karoline ab.
»Dich hat das ja nie interessiert. Du hast dich doch kaum um sie gekümmert«, brüllte Georg zurück, der weiterhin hinter seinen Fäusten in Deckung ging.
Es war wie beim Pingpong. Alle Blicke richteten sich nun auf Tom. Was würde er antworten? Tom hatte seine Fäuste weiterhin angriffslustig oben. Er sah aus, als würde er sich jetzt wieder auf Georg stürzen. Doch plötzlich ließ er seine Arme sinken. Es war wieder der alte Tom - einer, der nichts mitkriegen will. Sich zurückzieht. Phlegmatisch wirkt.
»Was soll das denn jetzt?«, fragte Georg erstaunt, die Fäuste vorsichtshalber immer noch oben. »War das etwa alles? Eine gebrochene Nase, mehr nicht? Wo bleibt das blaue Auge, der Schlag in den Magen?«
»Keine Lust«, murmelte Tom.
»Keine Lust? Was bist du denn für ein Kerl?«, brüllte Georg, der ihn jetzt regelrecht provozieren wollte.
»Was ich für ein Kerl bin?«, brüllte Tom zurück. »Ich bin genauso ein verlogener Sack wie du. Natürlich wusste ich von deiner Affäre mit Karoline, genauso wie Toni. Aber es war mir egal. Und weißt du, warum? Weil ich schwul bin. Die Verlobung mit Karoline war Tarnung, mehr nicht. Niemand in der Vorstandsetage war jemals schwul. Es gibt offiziell keine Schwulen unter Topmanagern. Deshalb hat Karoline mir ausgeholfen. Hat sie dir nie etwas davon erzählt?« Tom suchte Karoline und fand sie in der Menge. »Braves Mädchen«, sagte er höhnisch.
»Du bist schwul?« Georg war jetzt wirklich in Rage. »Und wofür habe ich dann jetzt eine gebrochene Nase?«
»Aus Prinzip. Weil du mich und alle belogen hast«, brüllte
Tom zurück. Das war zu viel für Georg. Er holte aus, und seine Faust landete direkt in Toms Gesicht. Wieder gab es ein unschönes Geräusch. Der Kiefer würde dick werden. Die Unterlippe platzte an der Seite
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