Der Liebespakt
konnte Toni auf das Dach des Oberdecks schauen, allerdings sah sie keine Passagiere, die saßen zu tief. Toni wusste inzwischen, dass der Bus werktags alle fünfzehn Minuten vorbeifuhr - nur
in eine Richtung, denn das Büro lag in einer Einbahnstraße. Heute klangen die Busreifen auf dem Asphalt besonders laut, es hatte wie üblich geregnet. Jetzt hupte jemand, ein anderer fluchte. Vermutlich eine kamikazeartige Ausparksituation. So richtig kannte sich Toni in London immer noch nicht aus, sie fand gerade mal den Weg von ihrer Einzimmerwohnung zum Büro und wieder zurück. Das war ihr Leben. Schlafen, arbeiten, irgendwo eine Kleinigkeit essen gehen, schlafen, arbeiten, ab und zu ein Arztbesuch, um zu kontrollieren, ob es dem Baby gut ging. Mehr wollte sie nicht. Es war Toni ziemlich egal, wo sie im Moment lebte. Hauptsache nicht in Berlin.
Pedraam war ein Studienkollege von Toni und Shirin. Er hatte nicht lange gezögert, Toni einen Schreibtisch in seinem Büro anzubieten. Toni war gut, er konnte sie gebrauchen. Außerdem liebäugelte Pedraam schon länger damit, eine Dependance seines Geschäftes in Berlin aufzumachen. Toni wäre die ideale Büroleiterin für die Hauptstadt, sie kannte sich dort aus, hatte genug Kontakte. In wenigen Monaten würde der ganze Skandal um Georg vergessen sein, dann konnte sie dort wieder in Ruhe arbeiten.
Das Telefon klingelte. Toni werkelte mit der Maus in einem Grundriss herum - eine gut situierte Familie, die eine Stunde von London entfernt wohnte, wollte Küche und Essbereich zu einer großen, repräsentativen Wohnküche zusammenlegen. Ein kleiner Auftrag, der aber Toni erst mal beschäftigte. Matthias Kammroths Entscheidung wegen des Hotels stand noch aus - letzte Woche hatte Toni ihm die von ihr neu gestaltete Hotelsuite vorgeführt. Sie war jetzt dabei, ihren eigenen Stil zu finden. Ihre Vorführsuite sah privat aus, nicht steril, so als sei jedes Objekt persönlich ausgesucht worden und habe seine Geschichte. Wer die Suite betrat, fühlte sich weniger in einem Hotel als in der Gästewohnung eines guten Londoner Freundes,
der Geschmack und Geld besaß. »Cotswolds-Style«, hatte Matthias Kammroth anerkennend gesagt - Cotswolds war eine der schönsten Gegenden Englands, wo die Reichen und Berühmten ihre Landhäuser hatten. Als Hotelprofi durchschaute er aber auch sofort den Schein der Suite, die so persönlich daherkam. Für die Hotelangestellten war die Suite absolut funktional und schnell und gut zu reinigen. Auch die Anschaffungskosten für die Einrichtung blieben im Rahmen. »Ich melde mich bei dir«, hatte er sich verabschiedet. Über die Gala und die Geschehnisse in Berlin hatte er kein Wort verloren, auch nicht über ihren deutlich sichtbaren Schwangerenbauch. Sie war froh gewesen, über beides nicht reden zu müssen.
Das Telefon klingelte weiterhin. »Toni, geh doch bitte mal ran. Das ist Berlin. Bestimmt für dich«, rief Pedraam aus der Teeküche. Fluchend ließ Toni die Maus los und setzte damit die virtuelle Küchenwand, die sie gerade mühevoll aus dem Grundriss herausgehoben hatte, mitten im virtuellen Wohnzimmer des englischen Ehepaares ab. Es war eine Berliner Nummer. Ob es Matthias war?
»Hallo«, meldete sich Toni auf Deutsch. »Antonia Jungbluth, Innendesign.«
»Frau Jungbluth, Toni, ach, wie gut, dass ich Sie endlich an der Strippe habe«, sagte eine ältere Frau. Toni erkannte die Stimme sofort.
»Frau Schurz, Sie rufen ja aus Berlin an. Laut Gerüchteküche leben Sie inzwischen in Moskau«, sagte Toni, die sich ehrlich über den Anruf freute.
»Was glauben Sie, was die Gerüchteküche über Ihren Wohnort flüstert - manche behaupten, Ihr Mann und Sie hätten auf einer Ölplattform im Kaspischen Meer angeheuert, andere sind sicher, Sie als Verkäuferin in einem Sandwich-Laden in Sydney gesehen zu haben. Frau von Randow verbreitet hartnäckig, Sie
hätten sich eine Gesichts-OP machen lassen und würden jetzt unter falschem Namen in Baku leben.«
»Warum, um Himmels willen, in Baku?«
»Weil dort die Gesichts-OPs billiger seien«, lachte Frau Schurz.
»Mein Gesicht ist unverändert. Und finanziell sieht es auch nicht schlecht aus - unser Berliner Penthouse wird wohl einen guten Preis erbringen. Ich könnte mir also durchaus einen Schönheitschirurgen in... - nun gut, womöglich nicht London. Aber eine Praxis in Manchester wäre schon drin.«
»Da bin ich ja beruhigt«, sagte Frau Schurz. Sie meinte das ernst.
Das Maklerbüro in Berlin war
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