Der Liebespakt
ist, man kriegt das Kind auch alleine groß. Das schaffen Sie.«
Es war so etwas wie der Ritterschlag von einer gestandenen alleinerziehenden Mutter, die Frau Schurz ja viele Jahre lang gewesen war. Toni war gerührt. Sie war in letzter Zeit schnell gerührt. »Das sind die Hormone«, hatte ihre Ärztin zu ihr gesagt. »Bei meiner ersten Schwangerschaft haben mich sogar Vorabendserien zum Heulen gebracht. Aber keine Sorge. Wenige Monate nach der Geburt sind Sie wieder der alte Besen, der Sie immer waren.« Toni prüfte ihre Augen, aber die waren zum Glück trocken geblieben.
»Danke«, sagte Toni zu Frau Schurz, »ich freue mich auf das Kind.«
Inzwischen freute sie sich tatsächlich - und zwar nicht nur, weil endlich die viele Schwangerschaftskleidung in ihrem Schrank einen Sinn machte. Nein, sie freute sich, weil sie das Kind wirklich wollte. Obwohl die Bedingungen nicht so waren, wie sie es sich gewünscht hatte. Jetzt war sie wirklich eine typische Frau des 21. Jahrhunderts: getrennt lebend, alleinerziehend, für alles selbst verantwortlich.
Von Georgs Abtauchen hatte sie am selben Tag erfahren wie von der Schwangerschaft. Am Tag nach der Gala hatte sich Shirin in Tonis Wohnung geschlichen, um für ihre Freundin einige Sachen zum Anziehen zusammenzusuchen. Draußen vor der Tür lungerten Paparazzi, auf ein Bild von Toni oder Georg hoffend. Als Shirin eine Stunde später ins Atelier zurückkehrte, hatte sie einen Umschlag in der Hand, der für Toni bestimmt gewesen war. Darin lag die Vollmacht - mehr nicht. Keine Zeile der Erklärung, kein Abschied, nichts.
»Er ist weg«, sagte Toni fassungslos. Und hatte sich sofort wieder übergeben. Zum Glück schaffte sie es bis ins Badezimmer.
»Womöglich bist du schwanger«, sagte Shirin, als Toni wiederkam.
»Unbefleckte Empfängnis«, murmelte Toni, denn kaum eine Frau in Berlin-Mitte hatte so wenig Sex gehabt wie sie in den letzten Monaten. Dann fiel ihr die Szene im Park des Ayurveda-Hotels ein. »Oh, oh.«
Der Schwangerschaftstest war schnell gekauft, obwohl der Gang zur Apotheke nicht sehr angenehm war. Es gab Leute auf der Straße, die regelrecht auf sie zeigten. »Ist das nicht die aus der Zeitung?« Und die Apothekerin starrte Toni mit offenem Mund an, als sie ihren Wunsch aussprach. »Also doch?« Dann schüttelte sie den Kopf und brummte vor sich hin: »Die Presse lügt von morgens bis abends.« Sie reichte Toni einen Plastikbecher und Traubenzucker dazu. »Der Becher ist für Sie, der Zucker für das Ungeborene.«
Zurück im Atelier legte Shirin vier Lagen Papiertaschentücher übereinander auf den mit Farbklecksen übersäten Atelierboden, und darauf stellte Toni den Plastikbecher, zu einem Drittel mit Urin gefüllt. Toni brachte es nicht fertig, also tauchte kurz entschlossen Shirin den Schwangerschaftstest in den Becher. Man sah, wie der trockene Streifen des Schwangerschaftstests den Urin aufsaugte und nach oben Richtung Ergebnisfenster beförderte. Als Erstes das Testfenster - der Streifen erschien, der Test war in Ordnung. Toni hielt die Luft an. Drei, zwei, eins - nun sah man, wie die Flüssigkeit langsam ins Ergebnisfenster hochstieg. Erst verfärbte sich alles, dann wurde das Fenster wieder weiß - nur ein deutlicher blauer Streifen blieb einsam stehen. Es stand außer Frage, Toni war schwanger.
Im ersten Moment wussten beide nicht, wie sie reagieren sollten. Beileid? Gratulation? Ein gehauchtes: Wie willst du dich entscheiden? Bis die Freude aus Shirin herausbrach. »Glückwunsch, mein Schatz«, rief sie und umarmte Toni ganz fest. »Du hast es dir so lange gewünscht.« Und erst in diesem Moment, keine Sekunde vorher, begann Toni, hemmungslos zu weinen.
»Ich will das Kind. Aber dafür muss ich hier weg. Berlin halte ich im Moment nicht aus«, hatte sie geschluchzt.
Die Stimme von Frau Schurz holte sie wieder zurück in die Gegenwart. »Es war schön, Sie zu hören. Jetzt aber steht Aleksej neben mir und winkt ungeduldig, dass er Sie sprechen will. Ich hoffe, wir sehen uns bald. Wenn ich das nächste Mal in London bin, werde ich bei Ihnen im Büro vorbeikommen. Wenn Sie möchten.«
»Natürlich«, bekräftigte Toni, »gerne.« Sie meinte es auch so. Man hörte jetzt ein leichtes Rascheln am Hörer, und plötzlich meldete sich die warme, weiche Stimme von Aleksej Wolkow mit seinem schönen russischen Akzent.
»Frau Jungbluth«, begrüßte er sie und kam direkt zur Sache, »Sie wissen, ich habe Ihre Arbeit in Berlin sehr bewundert.«
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