Der Liebespakt
gelungenen Leben. »Scheitern als Chance« stand dort zu lesen. Im ersten Moment hatte Toni nicht gewusst, ob sie das Zeug lesen oder in den Müll werfen sollte. Wer wagte es, so etwas heutzutage noch zu schreiben: Scheitern als Chance. Aber der Satz fand sich überall. Alle Experten sagten: Trennung ist unvermeidlich. Und Trennung ist letztlich gut. Trennt euch, Leute! Denn der Partner, der danach kommt, wird viel besser sein als der, den ihr geheiratet habt. Schließlich habt ihr jetzt mehr Lebenserfahrung.
Vielleicht hätte sie nach der Lektüre tatsächlich ihren Frieden mit dem Aus ihrer Ehe machen und den Notar anrufen können, um eine lukrative Schweigesumme zu vereinbaren. Wenn sie sich nicht - erstens - so gedemütigt gefühlt hätte und - zweitens - nicht plötzlich eine SMS von Frau Schurz auf ihrem Handy eingegangen wäre. Die Sekretärin lieferte pflichtbewusst die erpressten Terminänderungen ihres Chefs nach. In der SMS stand: »Nächsten Dienstag nach Konzern-Pressekonferenz: kurzfristiger Fototermin; G. J. mit Kindern im betriebseigenen Kindergarten« . Die Information hatte Toni unglaublich zornig gemacht. Georg wollte vor der Kamera mit Kindern posieren. Der Mann, der ihr ein Kind verweigert hatte. Für ihn
waren diese vier verlorenen Ehejahre am Ende egal, wenn es um den Nachwuchs ging. Er würde auch noch in fünf, sechs Jahren als akzeptabler, eher junger Vater durchgehen. Aber wie stand es mit ihr? Es sah, was die Kinderfrage anging, nicht mehr so gut aus. Sie hatte entscheidende Jahre mit dieser Ehe verloren. Jetzt musste Toni einen neuen Mann kennenlernen, eine Weile mit ihm zusammen sein und ihn davon überzeugen, dass sie die perfekte Mutter für seine ungeborenen Kinder war. Wie lange würde das dauern? Drei Jahre? Vier? Sechs? Toni erschauerte. Wenn sie Glück hatte, kriegte sie ihr erstes Kind noch vor ihrem vierzigsten Geburtstag. Georg hatte den Lauf von Tonis Leben auf grauenhafte Art gestaut. Er hatte aus Toni eine alte Mutter gemacht. Vielleicht sogar eine Kinderlose.
Trotzdem benahm er sich unverschämt, demütigte sie auf der Autobahnraststätte und dachte, er könne sich einfach nach vier Jahren aus dieser Ehe herauskaufen. Aber eine Überweisung genügte nicht, um seine Schuld zu begleichen. Deshalb saß Toni jetzt im Kindergarten. Georg musste erkennen, was er ihr angetan hatte.
»Wir haben Besuch«, sagte sie jetzt an die Kinder gerichtet. Die schauten nun auch hoch und bemerkten erstaunt die vielen Männer mit Kameras. »Schaut mal, Kinder, der da«, jetzt zeigte Toni auf Georg, »der da ist mein Mann.« Die Fotografen staunten bei dieser Information nicht schlecht. Auch der Jungredakteur Sebastian Koch konnte sich ein beglücktes Lächeln nicht verkneifen. Wie gut, dass er noch mitgekommen war. Hier saß die Frau des zukünftigen Vorstandsvorsitzenden Georg Jungbluth zwischen den Kindern, machte mit ihnen einen Psychotest aus der »Vogue« und war offensichtlich gerade dabei, ihren Mann vorzuführen. Das roch nach Ärger. Nach Ehekrise. Nach Boulevard. Diskret gab Sebastian seinem Fotografen ein Zeichen, sich ab sofort bereitzuhalten.
Auch die Kinder betrachteten jetzt interessiert Georg. Es wirkte so, als hätten sie vorher schon mit Toni über ihn gesprochen.
»Der ist aber klein«, sagte ein rotblondes Kerlchen in die Stille hinein.
Toni musste lachen. »Merk dir eines: Es kommt nie auf die Größe an.« Jetzt mussten auch die Fotografen lachen, tief und zotig, wie nach einem schlüpfrigen Witz. Georg überlegte fieberhaft, wie er die Situation noch retten konnte. Zum Glück waren Fotografen, anders als manche Journalisten, keine großen Rechercheure. Was nicht als Bild daherkam, interessierte sie nicht besonders. Denen konnte man viel erzählen, sie waren schnell bereit, alles zu glauben.
»Meine Frau Antonia Jungbluth ist eine erfolgreiche Innenarchitektin und Designerin. Trotzdem lässt sie es sich nicht nehmen, ab und zu ehrenamtlich in unserem Betriebskindergarten auszuhelfen.« Frau Wennecker, die Kindergartenleiterin, hatte sich nun auch ins Bild geschoben und nickte dazu heftig, als würde Georgs Aussage damit glaubwürdiger.
»Und was machen Sie mit den Kindern genau, Frau Jungbluth? Ihre Methode erscheint mir recht ungewöhnlich - die ›Vogue‹ gilt nicht gerade als Kindergartenlektüre«, mischte sich Sebastian Koch ein.
Wenn Toni wollte, konnte sie so charmant lächeln, wie es nur großen Schauspielerinnen wie Audrey Hepburn oder Romy Schneider
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