Der Liebespakt
hatte dafür noch nicht mal vorher die Wohnung betreten müssen, den Zweitschlüssel trug sie am Bund. Georg würde den fehlenden Jaguar kaum bemerken, denn wochentags wurde er im Dienstwagen durch die Gegend chauffiert. Aber im Grunde war es Toni auch egal, ob er etwas merkte. Das Auto gehörte ihr genauso wie ihm, Geburtstagsgeschenk hin oder her.
Toni sah heute Morgen verändert aus. Von Shirin hatte sie sich eine blonde Langhaarperücke mit dezenten Locken geliehen, dazu trug sie eine übergroße Jackie-O.-Sonnenbrille; beides verwandelte sie so, dass sie beim besten Willen nicht mehr als Toni zu erkennen war. Außerdem trug sie einen dunkelblauen Malerkittel von Shirin, der zwar frisch gewaschen war, aber an einigen Stellen - besonders am Ärmel und im Brustbereich - deutliche Farbspuren zeigte, die auch nach Einweichen und extralanger 90-Grad-Wäsche niemals herausgehen würden. Toni hatte sich nicht getraut, in ihrer normalen, körperbetonten Kleidung auf die Straße zu treten. Nicht nach dem Artikel. Es war
Alice gewesen, die sie an diesem Morgen ganz früh aus dem Bett geklingelt hatte: »Toni, du bist in der Zeitung. Unglaublich. In der Zeitung, elf Millionen Leser!«, hatte sie ins Telefon gekiekst, während Toni gerade mühsam versuchte, auf Shirins Atelierliege wach zu werden. Und dann, nach einer kurzen Pause, hatte Alice hinzugefügt: »Ach, und übrigens, Toni, du bist angeblich schwanger. Aber wenn ich an deine Wodkafahne in den letzten Tagen zurückdenke, kann ich das nur schwer glauben.«
Alice, die schlaue Journalistin. Die ließ sich nicht so leicht täuschen.
Jetzt hatte Toni Angst, der rachsüchtige Georg könnte einen zweiten Pressefotografen auf sie ansetzen, um die Schwangerschaftslüge zu entlarven. Ein, zwei total flachbauchige Fotos, und das Gerücht um den bevorstehenden Nachwuchs im Hause Jungbluth wäre erledigt, genauso wie die Karriere des jungen Boulevardredakteurs. Aber solche Fotos würde sie Georg nicht bieten. In einer Stunde würde sie ihre Freundinnen in einem Berliner Nobelkaufhaus treffen, um ihren Kleiderschrank schwangerschaftsmäßig aufzurüsten. Bis dahin musste der weite Malerkittel zur Flachbauch-Tarnung reichen. Toni hatte noch etwas Dringendes zu erledigen.
Nur der richtige Soundtrack fehlte noch. Toni drehte schon eine Weile am Radioregler. Auch das Radio stammte, wie das ganze Auto, original aus dem Jahre 1974. Erst hatte sie einige Minuten im Deutschlandfunk eine Reportage über bolivianische Näherinnen, die ein feministisches Kollektiv hoch in den Anden gegründet hatten, über sich ergehen lassen, danach ihr Hirn einige Zeit von den zuckersüßen Liebesliedern auf Radio Paradiso verkleben lassen, so lange, bis sie fast Mitleid mit Georg gehabt hatte. Also hatte sie schnell weitergedreht zu Motor FM, dem Berliner Sender für die harte Gitarre - hier lief Independant und Schrammelmusik. Das war gut für die Aggression.
Sie wollte noch mehr Rache nehmen, die Aktion gestern im Betriebskindergarten hatte sich wirklich großartig angefühlt. Allerdings war die Gitarrenmusik nicht so gut für ihren Kopf, denn sie hatte einen furchtbaren Kater. Bis weit nach Mitternacht war sie durch die Bars von Berlin gezogen und hatte ihren Sieg über Georg gefeiert. Viel Erinnerung hatte sie daran nicht mehr. Toni fühlte eine Welle von Übelkeit hochkommen. Je älter sie wurde, desto schlechter vertrug sie größere Mengen Alkohol. Sie hatte heute Morgen noch nicht mal einen Kaffee trinken können, geschweige denn etwas essen. Sie kurbelte das Fenster herunter, um die angenehme Frühlingsluft hereinzulassen. Aha, Peter Fox, damit konnte sie leben, das hatte genug Schwung, verstärkte aber nicht die Kopfschmerzen. Toni ließ den Regler los, just in diesem Moment fuhren Georg und sein Chauffeur vor. Er hatte sie offensichtlich nicht entdeckt.
Sie wartete noch zehn Minuten, dann rief sie Frau Schurz an.
»Ist mein Mann inzwischen oben in seinem Büro angekommen?«, fragte Toni.
Jetzt hörte sie, wie Georg im Hintergrund Frau Schurz bat, ihm einen grünen Tee zu bringen. Danach schloss sich eine Tür. Damit war alles klar.
»Frau Jungbluth«, fragte Frau Schurz flüsternd, »wo stecken Sie? Sind Sie hier?«
Toni hatte nicht vor, Frau Schurz irgendetwas zu offenbaren.
»Sitzt er allein im Büro?«, fragte Toni.
»Wer?«, sagte Frau Schurz begriffsstutzig. Oder wollte sie Zeit schinden?
»Mein Mann. Ist er jetzt allein?«
»Ja, sein erstes Meeting findet in einer Stunde
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