Der Liebespakt
von den Fotografen genommen, die um sie herumstanden. Sie schienen völlig vertieft in … Georg traute seinen Augen kaum, völlig vertieft in die »Vogue«. Als sei sie eine ganz normale Lesepatin eines Kindergartens, las sie den Kindern aus der Frauenzeitschrift vor, nein, mehr noch, sie band die Kleinen ins Geschehen mit
ein. Toni machte mit den Kindern den »Welcher-Typ-sind-Sie«-Psychotest.
Gerade stellte Toni eine neue Frage: »Frage fünf: Ihr Mann schenkt Ihnen zum Geburtstag eine Botox-Behandlung. Nehmen Sie das Geschenk an?
a. Natürlich. Ich will ja nicht durch seine Assistentin ersetzt werden.
b. Niemals. Erst soll er sich das Bauchfett absaugen lassen.
c. Nur wenn der plastische Chirurg so gut aussieht wie der Typ aus Grey’s Anatomy. «
Die Kinder sahen Toni mit großen Augen an. Toni spielte mit ihrem Stift. »Schwierig, nicht wahr«, sagte sie.
»Was ist eine Matchbox-Behandlung?«, fragte ein Junge.
»Botox, du Blödian«, fauchte das Mädchen neben ihm ihn an. Sie war hübsch, hatte blonde Löckchen, die durch eine altrosa Spange mit Punkten gebändigt wurden. »Meine Mutter kriegt das auch immer. Sie braucht es wegen der Kummerfalten. Weil sie sich so über mich ärgert, sagt sie.«
»Botox ist ein Nervengift«, erklärte nun Toni. »Ihr wisst doch, was Gift ist, oder, Kinder?«
»Gift ist gefährlich. Davon kann man sterben. Es kann Tiere töten und auch Menschen«, rief ein kleiner, dünner Kerl mit Brille aufgeregt.
»Die böse Tante schenkte Schneewittchen einen giftigen Apfel«, sagte nun ein schwarzhaariges Mädchen, das ganz in Lila gekleidet war.
»Sehr gut«, lobte Toni. »Aber das Botox, das man als Frau gespritzt kriegt, ist nur ein ganz bisschen giftig. Davon stirbt keine. Aber das Gesicht ist danach straff. Oder starr. Wie man es nimmt.«
»Iiiiiihhhhh, eine Spritze«, schrien die Kinder jetzt wild durcheinander.
»Also Antwort ›b‹. Gibt vier Punkte. Nächste Frage.« Ein Räuspern unterbrach Toni. Es war Georg. Toni schaute hoch und tat so, als bemerkte sie ihren Mann und die vielen Fotografen im Raum erst jetzt. Es tat gut, Georg nach einer Woche endlich wieder in die Augen sehen zu können. Es tat weh, aber es tat auch gut. Denn jetzt konnte sie ihn fertigmachen. Nichts wünschte sie sich im Moment sehnlicher.
Die ersten zwei Tage nach der Autobahnsache hatte Toni wie weggetreten auf der Liege in Shirins Atelier gelegen und durch die Oberlichter hinaus in den Himmel geschaut. Sie hatte nichts gegessen, kaum geschlafen und nur ab und zu etwas getrunken - entweder Shirins starken Kaffee oder Wodka. Es waren zwei windige Tage gewesen, die Wolken waren schnell über Shirins Dach hinweggezogen, doch Toni hatte das kaum bemerkt. Ihr war, als bräche die ganze Welt durch diese Dachluke auf sie herein. In manchen Minuten fiel es ihr schwer zu atmen, so sehr drückte der Schmerz auf ihren Brustkorb; es war die Scham, so entwürdigend sitzen gelassen worden zu sein. Die Wut über das Ende ihrer Ehe. Das Entsetzen über ihre eigene Käuflichkeit. Die Enttäuschung, dass ihr Leben so ganz anders verlief, als sie es vor wenigen Jahren vorhergesagt hatte. Und die unmittelbare Frustration - sie hatte ihren Job gekündigt, um auf den letzten Metern die prägende Ehefrau zu geben. Aber Georg ließ ihr keine Chance. Er nahm ihr die Luft zum Atmen.
Nach diesen zwei Tagen war sie von einer Sekunde auf die andere eingeschlafen, ein traumloser Schlaf über Stunden. Die Welt sah nach dem Aufwachen keinen Deut besser aus als vorher. Nur, dass Shirin sie mit einer wollenen Decke zugedeckt hatte. Außerdem stand neben ihrer Liege ein Stapel Bücher - Lebenshilfe für Scheidungsopfer. Sie trugen Titel wie »Wenn der Partner geht«, »Es gibt ein Leben nach der Ehe«, »Morgen bin ich ihn los« oder »Leben ohne dich. Leben mit mir«. Anbei
lag eine kurze Notiz von Alice, die offensichtlich vorbeigekommen war. »Lies das. Deine Lage ist nicht aussichtslos. Im Gegenteil.« Toni stand zum ersten Mal seit Tagen auf, machte sich in Shirins kleiner Atelierküche etwas zu essen, setzte sich an den langen hölzernen Esstisch, der voller Farbspuren war, und begann zu lesen.
Sie lernte, dass zu einem modernen, zeitgemäßen Leben eine Scheidung dazugehörte. Es passierte allen. Mehr oder weniger allen. Die Experten, die das ganze Zeug schrieben, drängten allesamt darauf, die Scheidung als Bruch in ihrem Leben zu akzeptieren, es mache ihre Biografie nur spannender. Krisen gehörten zu einem
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