Der Liebespakt
kaum noch beherrschen. Am liebsten wäre er ihr an die Gurgel gegangen, stattdessen trat er ihr auf die Zehen, bei jedem neuen Schritt. Es ging ihm gnadenlos gut dabei, obwohl er genau wusste, wie vollkommen kindisch dieses Verhalten war. Es half nichts. Er wollte ihr wehtun.
»Autsch«, schrie Toni wieder auf, diesmal etwas lauter. Einige Umstehende lachten. Sie hielten das Paar für besonders witzig. »Wenn du mir noch einmal auf die Zehen steigst, dann …«, sagte Toni drohend, und schon stand Georg wieder drauf, lächelte sie diesmal satanisch an.
Ohne nachzudenken, holte Toni aus - das linke Bein war schließlich noch frei, nur das rechte war an Georg gekettet -, und mit einer kunstvollen Bewegung, die nur durch viele Jahre regelmäßiger Yoga-Studio-Besuche möglich war, schaffte sie es, das Bein genau richtig einzuknicken, um mit dem spitzen Absatz ihres Ankle Boots exakt Georgs linkes Schienenbein zu treffen, das nicht ausweichen konnte, weil Georg an Tonis Unterkörper fixiert war. Diesmal schrie Georg auf, jeder konnte ihn hören. Er sackte sogar ein wenig vor Schmerz nach unten, riss sich dann aber zusammen und ging zurück in die halbgerade Haltung, allerdings weiterhin wimmernd. »Auautschau, verfluchte Scheiße, auauaau …«
Toni heuchelte Mitleid und nahm ihren Mann fürsorglich in den Arm. »Georg, das tut mir so wahnsinnig leid«, sagte sie so laut, dass es jeder verstehen konnte, »das wollte ich nicht, mir sind die Beine durcheinandergeraten. Schätzchen, entschuldige bitte.«
Georg hätte sie am liebsten weggestoßen, aber alle starrten sie an. Die Leute hier kannten die Untiefen des Ehelebens aus eigener Anschauung. Sie waren anders als die Singlepfeifen, die sonst in Berlin-Mitte herumliefen, diese schönen Menschen um die dreißig, die mitten im Leben standen und doch kaum eine Ahnung davon hatten. Denen konnte man leicht etwas vorspielen. Berlin-Mitte-Menschen hätten es weit von sich gewiesen, dass Liebe zum Machtkampf werden konnte. Liebe - das war schön, harmonisch. Und wenn nicht, dann war die Liebe eben aus und die nächste dran. Diese Weicheier brachen eine Beziehung schon ab, wenn ihr Partner mal eines Abends nicht wie versprochen anrief.
Aber hier, dachte er, im Milieu des Konzerns, ist man zu lebenserfahren, um auf eine schlechte Ehekomödie hereinzufallen. Warum? Weil die meisten selbst eine spielten. Zumindest, wenn man sich den Vorstand genauer ansah. Karoline betrog Tom, aber sie war nicht die Einzige. Auch Beate von Randow wurde seit Jahren von ihrem Mann hintergangen. Es hieß, er habe längst ein uneheliches Kind mit einer Sekretärin, aber anders als Franz Beckenbauer hatte er diese Frau nie geheiratet. Dafür allerdings fürstlich abgefunden. Ludmilla Benses Mann war zu der Zeit in der Gewerkschaftsspitze von VW gewesen, als die ganzen Lustreisen des Vorstands nach Brasilien aufgeflogen waren. Sein Name war nur am Rande aufgetaucht, deshalb war er halbwegs sauber aus der Sache herausgekommen. Doch - wer einmal ein Faible für Prostituierte hat, der hört kaum über Nacht damit auf. Und über Sophie Rosenstätters Mann hieß es, er sei in Wahrheit schwul. Womöglich war das aber nur ein böses Gerücht. Egal, eines war klar: Georg und Toni mussten sich zusammenreißen, wenn sie diesen präzise beobachtenden Zuschauern etwas vormachen wollten. Tonis angebliche Schwangerschaft würde sie als Paar nicht ewig schützen. Also richtete er sich jetzt vollends
auf, nahm nun vor aller Augen seine Frau in den Arm, als wolle nun er wiederum sie trösten, die wie aufgelöst neben ihm stand. Er versenkte sein Gesicht in ihr Haar, was für jeden Außenstehenden äußerst liebevoll aussah, und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich verfluche den Tag, an dem du in mein Leben getreten bist.«
Daraufhin nahm Toni liebevoll sein Gesicht in die Hand, schaute ihm direkt in die Augen und flüsterte: »Und ich den Tag unserer Hochzeit. Obwohl, uups, es bringt mir ja eine halbe Million ein. Doch nicht so schlecht.«
Georgs Hände ballten sich vor Zorn, aber er konnte nichts machen. Für die Zuschauer sah diese Geste irgendwie leidenschaftlich aus.
»Hört mal, ihr Turteltauben«, rief nun jemand von der Startlinie, es war Tom, »kommt ihr jetzt und macht mit, oder steigt ihr aus?«
»Memmen«, giftete Karoline, die wütend die ehelichen Zärtlichkeiten beobachtet hatte, ohne zu sehen, wie viel Zorn hinter jeder Geste steckte.
Natürlich würden sie teilnehmen. Er, der zukünftige Vorstandschef,
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