Der Liebessalat
Donna Solina liebt. Hündisch jault er: »Schon drei lange, lange Tage und Nächte irr ich verloren um dieses Haus herum. Kein Pfosten, den ich nicht umfaßte, kein Fenster, dem ich nicht mein Leiden vertraute. Und keinen Blick! keinen Gruß! Sie schienen mich zu vermeiden.« Und dann muß er sich von der Frau seiner Träume auch noch Folgendes anhören: »Hast du vergessen, was ich dir so oft sagte, daß du ohnerachtet der großen Prätensionen die sich auf deinem Gesicht beschreiben, für meine Liebe zu schwach wärst? Steh ab Julio! laß dich weisen, steh ab!… Was, Liebe willst du kleines Geschöpf?« Obwohl das Stück der konfuseste und miserabelste Schwachsinn war, den Viktor je überflogen hatte, litt er mit. In all dem irren Schwulst waren simple Sätze, die er unterschreiben konnte: »Dieses Herz will unablässig getrieben sein.« Wenn das nicht auf ihn zutraf. Oder auch: »Wie soll ich mit mir auskommen?« Gute Frage. Und als sie, die abweisende Donna, dem unabweisbaren Julio kurz vor ihrem gemeinsamen Liebestot im Kerker ihre lange verborgene Zuneigung endlich enthüllt, hätte Viktor fast Tränen in die Augen bekommen. »Julio! Mein Julio! Armer, lieber Narr! Du glaubtest, ich könnte dich lassen! Unaussprechlich ist’s, was mir durch die Seele fährt.« Und Julio, vor ihr kniend, den unannehmbaren Verbannungsbescheid des intriganten Herrschers noch in der Hand: »Und du, unaussprechliches Wesen, hier nimm meinen letzten, heißen Dank, daß du deine Augen auf mich gerichtet hast, meine Seele verstundest, und so mit mir endest.« Da fleht Donna Solina: »Steh auf! Steh auf! Laß dich umfassen! Laß dich lieben! Laß dich mit diesem Kuß entzünden!« Sie küßt ihn, darauf hatte er das ganze Stück über warten müssen. Er sagt. »Das ist nun weggewischt, was mich nicht schlafen ließ.« Sie: »Dank! daß das all so war. Getrennt kann keins von uns leben!« Sie zieht den Dolch hervor: »Diesen Freund kennst du? Schreckt er dich?« Er: »Laß mich ihn küssen.« Sie stößt sich den Dolch in die Brust, reicht ihn dem Julio: »Mein Julio! er schmerzt nicht!« Julio durchstößt sich: »Wohl! Wohl mir! Ich trink Leben aus deinen Augen.« Sie sinken zusammen. Ihre letzten Worte: »Schön! Herrlich!«
Warum nicht, dachte Viktor. Er hatte bisher den Liebestod in seinen Liebesromanen vermieden. Vielleicht sollte man die gute alte Tradition wieder beleben. Es hatte was. Es machte Laune.
Wirrwarr
hatte der Autor ein anderes Stück nennen wollen. Ein damaliger PR-Berater hatte ihm das ausgeredet und den Titel
Sturm und Drang
vorgeschlagen, der dann einer ganzen exaltierten Epoche den Namen gab.
Weniger ergreifend, was Goethe um 1830 herum in das schlechteste Theaterstück der deutschsprachigen Literatur schrieb. Im zweiten Teil des
Faust
spricht ein gewisser Phorkyas zu Helena: »Hast du vergessen, wie er deinen Deiphobus,/Des totgekämpften Paris Bruder, unerhört/Verstümmelte, der starrsinnig Witwe dich erstritt/Und glücklich kebste? Nas’ und Ohren schnitt er ab/Und stümmelte mehr so: Greuel war es anzuschaun.«– Eine Zumutung, der schönsten Frau der Welt mit solchen hölzernen Sätzen zu kommen. Wenn »Deiphobus« wenigstens eine hübsche Sauerei wäre! Viktor machte eine Notiz für einen Porno-Roman, den er irgendwann einmal schreiben würde: »Deiphobus, klingt, als wäre es ein künstlicher Götterpimmel, ein mit warmer Milch gefüllter Dildo, etwas in der Art, womit sich beim Marquis de Sade die Gräfinnen delektieren. Leider aber war der malträtierte Deiphobus Helenas zweiter Gatte.«
1774 kam der Hast-du-vergessen-Ruf in einem besseren Stück Goethes vor, dem
Clavigo
. »Hast du vergessen«, läßt der Autor dem Clavigo von seinem Freund Carlos zuflüstern, »was für Männer dir den Umgang, die Verbindung mit Marien mißrieten? Hast du vergessen, wer dir den klugen Gedanken eingab, sie zu verlassen?« Die entzückende Marie nämlich ist nach Ansicht des besserwisserischen Carlos nicht gut genug für den hoffnungsvollen Schriftstellerfreund. Sie könnte seine literarische Karriere beeinträchtigen. Viktor war empört und überflog das in wenigen Tagen geschriebene Stück, nachdem er sich mit dessen Eingangsszene voll identifizieren konnte. Vom Schreibtisch aufstehend sagt Clavigo gleich als erstes: »Das Blatt wird eine gute Wirkung tun, es muß alle Weiber bezaubern.« Und nichts anderes als das dachte Viktor noch immer bei jedem fertigen Text: »Es muß die Weiber bezaubern.« Allerdings
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