Der Liebessalat
auf die Nerven. »Ich habe ihn nicht nötig«, sagte sie.
Sie unterhielten sich über Sexualität und Sklaverei. Offenbar ein Lieblingsthema von ihr. Viktor berichtete von seiner elektronischen Blitzrecherche in Sachen Versklavung. Vor lauter Lust auf Sklaverei habe sie Rilke verfälscht. Der hätte ein Page, kein Sklave sein wollen. Viktor mußte ihr die Stelle aus dem
Cornet
vorlesen. Seltsame weiche Sätze:
»Nicht immer feindlich nach allem fassen; einmal sich alles geschehen lassen und wissen: was geschieht, ist gut. Auch der Mut muß einmal sich strecken und sich am Saume seidener Decken in sich selber überschlagen. Nicht immer Soldat sein. Einmal die Locken offen tragen und den weiten offenen Kragen und in seidenen Sesseln sitzen und bis in die Fingerspitzen so: nach dem Bad sein. Und wieder erst lernen, was Frauen sind….«
»Weiter«, sagte die Tscherkessin, »lies weiter!«
»Das kann doch einer Tscherkessin nicht gefallen«, sagte Viktor zweifelnd und fuhr fort mit dem Rilke-Text über die Frauen: »Und wie die weißen tun und wie die blauen sind; was für Hände sie haben, wie sie ihr Lachen singen…«
»Weiter«, sagte die Tscherkessin.
»Jetzt wird es schwülstig«, sagte Viktor und las: »…wenn blonde Knaben die schönen Schalen bringen, von saftigen Früchten schwer.«
»Wo kommt die Stelle mit dem Pagen?« fragte die Tscherkessin ungeduldig.
Viktor übersprang ein paar Absätze: »Einer, der weiße Seide trägt, erkennt, daß er nicht erwachen kann; denn er ist wach und verwirrt von Wirklichkeit. So flieht er bange in den Traum und steht im Park, einsam im schwarzen Park. Und das Fest ist fern. Und das Licht lügt. Und die Nacht ist nahe um ihn und kühl…« Viktor unterbrach: »Also ich weiß nicht«, sagte er, »mit weißer Seide habe ich es nicht so. Der arme Rilke wurde von seinen Eltern in weiße Seidenkleidchen gesteckt. Die Vorstellung macht mich ziemlich fertig.«
»Du hast lieber Frauen mit lila Lederhosen«, sagte die Tscherkessin. Und nach einer Pause: »Ich habe mir eine besorgt.« Und nach einer weiteren Pause: »Ich habe sie an. Ich habe den Reißverschluß gerade wieder zugemacht.«
»Mach ihn wieder auf«, befahl Viktor heiser.
Wieder trieben sie es, wieder lachten sie danach. »Wir müssen uns sehen«, sagte Viktor, »ich muß dich wirklich fühlen, ich muß dich wirklich ficken.«
»D’accord, Goldmann«, sagte sie und bat Viktor, ihr endlich die Pagen-Stelle vorzulesen.
Viktor suchte und las: »Und er fragt eine Frau, die sich zu ihm neigt: Bist Du die Nacht?«
»Oui«, sagte die Tscherkessin ein bißchen selbstverliebt, »oui, je suis la nuit.«
»Non«, sagte Viktor, »elle ne parle pas. Hier steht: ‘Sie lächelt. Und da schämt er sich für sein weißes Kleid…’«
»Weiter«, rief die Tscherkessin.
Und Viktor las weiter: »… Und möchte weit und allein und in Waffen sein. Ganz in Waffen…« Viktor räusperte sich: »Also ich weiß nicht – ich bin Pazifist«, sagte er, »das geht mir zu weit hier.«
Die Tscherkessin lachte: »Die Tscherkessen sind ein kriegerisches Volk.«
»Dann lassen wir das mit der Tscherkessin«, sagte Viktor, »und ich nehme dich als das, was du bist, als die Jüdin Rebecca.«
Jetzt lachte sie schallend und mußte nicht sagen, warum. Es war ihm selbst aufgefallen, daß seine Bemerkung angesichts des kriegerischen Israel der pure Unsinn war. »Jetzt, nach den Waffen kommt es«, sagte er und las: »Hast du vergessen, daß du mein Page bist für diesen Tag?«
Am Telefon nachts um eins zwischen Zürich und Hannover hin und her beschlossen Viktor und Rebecca, die falsche Tscherkessin, daß Rilke zwar besser sei, als sie ihn in Erinnerung hatten, sich zu einem Mitternachtsgeplauder auch gut eigne, aber nicht zur Identifikation. Die Sexualität, die Rilke beschwor, war rein und heilig, und ängstlich fragt die Gräfin den seidigen Liebesknaben: »Wo gehst du hin? Sehnt es dich nach deinem rauhen Rock?« Eine solche Gräfin war die Tscherkessin nicht, und Viktor war kein unschuldiger Liftboy. Vor allem wollte er nicht nach einer zarten Liebesnacht dem Tod entgegen in den Krieg ziehen wie der Cornet. Wenn schon Märchenwelt, dann wollte er die Tscherkessin in den Schluchten des Kaukasus vom Pferd reißen, sein Gesicht in ihre vom Staub verfilzten schwarzen Haare pressen und nach Reißverschlüssen suchen, um ihren kaukasischen lila Reiteroverall zu öffnen.
»Ja«, sagte sie, »das will auch ich.«
Allein ihr »Das will auch
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