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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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weniger schuldigen Figuren unachtsam über die Straße gehen zu lassen, ihnen Krebs oder Aids oder einen Herzinfarkt anzuhängen oder wenigstens ein väterliches Ungetüm, das bei der SS gewesen war und bei den Nachgeborenen für viel dumpfe Verzweiflung sorgte. Schon gewinnt das Buch an Tiefe und Gewicht. Viktor spürte beim Schreiben oft genug die Lockungen dieser einfachen Lösung, und er hatte sich vorgenommen, zu widerstehen. Keine Nazigeschichten, keine Krankheiten, kein Tod. Kein Berlin, kein Deutschland und kein Zusammenwachsen von Ost und West. Das waren alles nichts als Hausaufgaben, deren Erledigung von anständigen Schriftstellern erwartet wurde. Es mußte auch anders gehen. Aber Hausaufgaben, fand Viktor, waren etwas für Politiker. Die übrigens veränderten sich. Früher waren sie mehr durch ihre hinterfotzige, gemeine, verlogene Art aufgefallen, jetzt waren die meisten von ihnen wohlmeinend, aber dumm, und die Dummheit nahm von Woche zu Woche zu und hatte ein Ausmaß angenommen, daß Viktor es ablehnte, sich essayistisch mit diesen Gestalten und ihrem Gesabber auseinanderzusetzen. Es war gegen die literarische Menschwürde, diese Spezies zu beschreiben. Neulich hatte eine Frau von einer Partei, die Viktor einmal gewählt hatte, weil sie sich einst wohltuend von den etablierten Parteien unterschied, in einer Talkshow in einem einzigen knapp anderthalb minütigen Statement vierzehn Mal das Wort »Herausforderung« benutzt – das näher zu beschreiben machte keinen Spaß mehr. Auch Goethe würde heute von »Herausforderungen« sprechen, da war Viktor sich sicher. Bob Dylan nicht. Obwohl er ein Yankee war und viele seiner Songs einen Wildwesttouch hatten, und die dummen Amis mit ihrer Cowboy-Mentalität doch die allergrößten Herausforderungsfasler von der Welt waren – obwohl also Bob Dylan in dieser yankeedoodle Tradition stand und man befürchten mußte, daß in seinen weit über tausend langen Songs ein paar Mal von der »challenge« die Rede sein würde, war sein Werk tatsächlich frei von diesem denkfaulen Wort, mit dem seit Jahren schon jedes zivilisierte Arschloch seine Positionsangabe bestückte. Dank Internet hatte Viktor das unlängst herausbekommen, dort waren die kruden Texte des unermüdlichen Songwriters und Sängers allesamt vereint und derart perfekt zugänglich gemacht, daß man die Digitalisierung der Welt fast als einen Segen bezeichnen mußte, wie auch diese Nacht einer Telefonsex-Premiere, die harmonisch in eine literaturgeschichtliche Nachhilfestunde übergegangen war. Dank Goethe und Clavigo und dank hundertsechzigtausend digitalisierten Seiten guter und schlechter deutscher Dichtung wußte Viktor nun wieder besser über sich selbst Bescheid, und er notierte als Quintessenz ein paar Sätze, deren Inhalt er bei irgendeinem Interview würde verwenden können, daß nämlich Tod und Verderben in der Kunst etwas für Streber sei, denen nichts Besseres einfalle als eben dieses Ende. Eine Sache als Tragödie zu beschreiben, sei ein Zeichen von Beschränktheit. Eine plausible angenehme Lösung zu finden, erfordere mehr Phantasie, das könne man von der Literatur erwarten. Mit Wirklichkeitsflucht habe das nichts zu tun. Wer untragische Literatur produziere, müsse allerdings wissen, daß er mit gewichtiger Anerkennung nicht rechnen könne. Er, Viktor, sehe den Sinn seines Schreibens nicht im Aufarbeiten irgendwelcher vergangenen Schulden. Damit sollten sich die hochbegabten Einserschüler befassen. Er konsumiere dergleichen pflichtschuldigst, er produziere es nicht. Er werde auch fortan die Finger von diesem ungut gärenden Teig der Trauer lassen. Auch wenn das zur Folge habe, daß er nicht als Vertreter der deutschsprachigen Literatur in den Kulturinstituten des Auslands herumgereicht werde. Darauf scheiße er! Ihm käme es mit seinen Bücher allein auf zwei Dinge an: erstens, damit Geld zu verdienen, und zweitens, Planspiele zu entwickeln, um sich im Labyrinth der Liebesgefühle besser zurechtzufinden. Es gehe ihm in seinen Romanen und Erzählungen darum, Schleichwege aufzuzeigen, mit denen man die bürgerlichen Konfliktherde umgehen könne. Und drittens, vielleicht sei es sein literarischer Ehrgeiz, seine heiteren, untragischen, ja tragikfeindlichen Lösungen als so verlockend darzustellen, daß vernünftigen Leser auch in Wirklichkeit ein solch vergnügtes, raffiniertes und strafloses Umgehen von Konflikten plausibel erscheinen müsse. Viertens schließlich entschuldige er sich mit

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