Der Liebessalat
arbeitete gegen Viktor Goldmann. Wer nicht monogam seine Frau anbetete, lief neuerdings Gefahr, in einer Art Schnellgerichtsverfahren als pubertär abgestempelt zu werden. Sollte einem allerdings recht sein, solange das als Entschuldigung durchging.
Adrian war es gewesen, der nachts um drei angerufen hatte und temperamentvoll um Rückruf bat: »Bitte nicht vor elf Uhr.« Um elf erfuhr Viktor, daß Adrian in der nächtlichen Straßenbahn die Geige nicht ausgepackt, sondern sich gleich zu der Frau mit dem Mantelkragen gesetzt hatte. »Übrigens die fadendünne Lisa aus dem Café«, sagte Adrian, als wäre es das Normalste der Welt.
»Meine Lisa!« sagte Viktor ganz leise.
»Deine Lisa? Meine Lisa!« sagte Adrian laut. Sie hatte ein Buch über Beethovens Klaviersonaten gelesen. Dazu sein Geigenkoffer. Es war sofort klar: Sie gehörten zusammen. Fügung. Schicksal. Sie seien bis zur Endstation gefahren, dann wieder zurück durch die ganze Stadt, um dann noch einmal den Versuch zu machen, an ihren Haltestellen auszusteigen. Morgen schon seien sie verabredet.
»Du bist mir überhaupt nicht dankbar«, rief Viktor.
In den nächsten Tagen und Wochen versorgte ihn Adrian mit dem makellosen Fortgang seiner Liebesgeschichte. Je mehr Details des ungetrübten Münchner Glücks Viktor erfuhr, desto älter und altmodischer, verbrauchter, verkommener, abgestellter, abgefuckter, perverser, unkonzentrierter, impotenter, seichter, morscher, fauliger, liebeskonsumgeiler, turbokapitalistischer, auf den Hund gekommener, verlogener, doppel- und dreifachmoralischer, armseliger, erbärmlicher, jammervoller, liebesunfähiger und mit seinem Modell ganz und gar gescheiterter kam sich Viktor vor. Es war völlig klar: So wie bei Adrian und Lisa hatte das Glück auszusehen. Sie würden heiraten und Kinder kriegen und sich treu sein und der wandelnde Beweis dafür, daß sich Viktor sein Leben lang auf dem falschen Dampfer oder im falschen Film oder auf der falschen Partie herumgetrieben und sich verzettelt hatte. Er hatte sein Leben verpfuscht, er hatte vor Urzeiten Ella enttäuscht und ihr weh getan, und Ira hatte Ella enttäuscht und ihr weh getan, und dann hatte Ira ihn enttäuscht und ihm weh getan, und mittlerweile war alles dermaßen verfahren, daß nicht mehr klar war, ob er in den letzten Jahren mit seinen Frauengeschichten Ellen genervt oder gequält oder zermürbt hatte – oder sie ihn mit ihrem konsequenten Liebhaberinnen-Entschärfungsfeldzug.
Über sein außereheliches Glück hatte Viktor mit Ellen in den guten Jahren nicht sprechen können, über sein Unglück jetzt konnte er es noch viel weniger. Niemand war da, dem er sich hätte anvertrauen können. Er wollte auch nicht. Wenn einem die Frau des Lebens weglief, konnte man mit einer gewissen Anteilnahme seiner Freunde rechnen, nicht aber, wenn einem die charmante und intelligente Ehefrau ganz unintrigant, ohne Eklat und kaum nachweisbar über Nacht die Liebsten in Freundinnen des Hauses verwandelte und abspenstig machte. Viktor war der erste, der sich über jeden neunmalklugen Börsendeppen schieflachte, der mit Aktien sein Geld verlor. Doch in Sachen Liebe war er selbst ein Aktionär – sogar ein überzeugter. Bei vielversprechenden Unternehmen ausreichend Anteile besitzen – das war immer seine Devise gewesen. Jahrelang hatte er gute Gewinne gemacht, sein Leben war voller Liebesabenteuer gewesen. Bei Aza hatte er interessante, aber schmerzlose Verluste gemacht, bei Ira war der Kurs in letzter Zeit langsam, aber sicher gestiegen. Bei Susanne und Sabine mußte er sich von einigen Anteilen trennen, um desto freudiger auf Rebecca, Bettina und Selma setzen zu können. In diesem Augenblick hatte Ellen als stille Teilhaberin der hauseigenen Firma mit einer völlig unerwarteten Reihe von freundlichen Übernahmen ihren Coup gelandet – und Schluß war es mit dem fröhlichen Spekulieren.
Viele Jahre lang hatte Viktor oft doppelte Gewinne eingestrichen: privat und geschäftlich. Immer hatte er erst einen »Roman gehabt«, wie man früher so treffend sagte, und dann schrieb er einen Roman darüber und verdiente auch noch Geld damit. Man konnte nicht erwarten, ein Leben lang so privilegiert zu sein. Als Autor war Viktor Goldmann selbst eine kleine, gelegentlich durchaus florierende Firma mit einem gewissen Markwert. Mit seiner gedrückten Stimmung sank auch sein Wert. Kein neues Produkt war in Sicht.
Thomas und Barbara, Hanna und Carlos, Peter und Claudia, Eva und Tom, Karin und
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