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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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selbst für einen Sprachphilosophen nicht mehr in Worte zu fassen sei, hatte Viktor lauthals behauptet, zum Entsetzen der Gastgeber, denn der Mann, der Wittgenstein zitiert hatte, war ein schwuler Freund von ihnen, der allerdings nicht auf den Mund gefallen war, sondern geantwortet hatte, in den Arsch gefickt zu werden, sei in der Tat ein so gutes Gefühl, daß man nicht versuchen solle, es mit Worten auszudrücken – und möglicherweise habe Wittgenstein mit seinem Satz tatsächlich nichts anderes gemeint.
    Vorbei die Zeiten solchen amüsanten Gefrotzels, und nun war es Viktor, der viel und beharrlich schwieg. Er war nicht schwul geworden, aber sein Schweigen hatte doch immerhin mit Sexualität zu tun, zumindest mit einem Mangel an Erotik.

    Selbst als Rebecca erneut zu Besuch kam und ihre tollkühne lila Lederhose präsentierte, mit der sie Sabine an Laszivität in den Schatten stellte, regte sich bei Viktor kein Begehren. Sie war nicht als seine Tscherkessin gekommen, sondern als Ellens Rebecca. Ellen, unfaßlich, probierte das schrille Beinkleid der neuen Freundin und überlegte sich, ob sie sich auch so eine Hose besorgen sollte: »Als Ehefrau des geistigen Vaters dieser Kreation bin ich mir das fast schuldig«, sagte Ellen. Da es ihr nicht gelang, Viktor in dieser Nacht ins Bett zu locken, schlief Rebecca mit ihr im Ehebett, und wieder wußte Viktor nicht, ob das Provokation oder Freundschaft oder eine lesbische Anwandlung war. Eine bisexuelle Ehefrau war ihm früher oft wie die Lösung aller ehelichen Probleme erschienen. Welcher Reiz, welche Bereicherung mußte es sein, wenn beim Frühstück plötzlich eine unbekannte Frau erschiene und man sich neugierig in Augenschein nehmen würde.
    Jetzt nagte es nur an Viktor, aber er wußte nicht, ob es Eifersucht war oder das nun schon seit Monaten ihn quälende Gefühl, nichts mehr zu suchen zu haben, und wehmütig dachte er an sein vergangenes Luxusleben zurück, wo er sich zwischen den Frauen hätte zerreißen können vor Lust, wo er so viele Liebesbriefe schrieb und in die Fiktion übertrug, daß er keine Zeit hatte, sich auch noch um Reisekostenabrechnungen zu kümmern. Es machte mehr Spaß, einen neuen Text zu schreiben, für den man ein Dreitausender-Honorar bekommen würde, als seine Zeit damit zu verplempern, der Glas-Versicherung die Rechnung für die Reparatur eines Fensters zu schicken. Noch niederschmetternder war es, sich um steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten zu kümmern. Und genau das war ein Hochgefühl gewesen: keiner dieser verdammten Steuerbürger zu sein, der alle Ausgaben zusammenscharrt, um weniger Steuern abdrükken zu müssen. Damit machte man sich zum Sklaven des Staates und seiner Gesetze. Viktor, als er noch in Saus und Braus lebte und verdiente, hatte seine Verachtung dem deutschen und dem schweizerischen Staat gegenüber immer damit ausgedrückt, indem er sich nicht einmal um Vergünstigungen bemühte, er weigerte sich sogar, die Frankfurter Wohnung von der Steuer abzusetzen. Das war er sich schuldig. Nun, da er so gut wie nichts mehr verdiente, konnte er sich diese unvernünftige Haltung nicht mehr leisten.
    Viktor nahm Kontakt zu dem Agenten auf, der ihn vor fast zwei Jahren in München zum Schreiben einer Casanova-Trilogie hatte ermuntern wollen. An der Reserviertheit dieses Menschen merkte er sofort, daß es keine Einbildung von ihm war, wie Ellen immer wieder tröstend vermutete: Sein Marktwert war tatsächlich gesunken. Mit der »Liebe« sei es bei den Verlagen ein bißchen vorbei, es habe sich »langsam ausgeliebt«, sagte der Agent, die Verlage seien jetzt doch wieder mehr an dem »ultimativen Berlin-Roman« oder dem »definitiven gesamtdeutschen Roman« interessiert, damit sei jetzt Geld zu machen, es gebe zwar schon einiges in der Richtung, aber eben der absolute Knüller sei noch nicht dabei gewesen, auf den warte man noch, und nur wenn auf den ultimativen und definitiven Knüller gewartet werde, nur dann könnten auch hohe Vorschüsse herausgekitzelt werden. Wenn er Herrn Goldmann einen Rat geben dürfte: Nach Berlin ziehen, ein bißchen frische Luft schnuppern und es dann einfach probieren. Vielleicht komme ja der ultimative Hauptstadtroman heraus. Ein Berlin-Roman von Viktor Goldmann hätte sicher einige Chancen, und den würde er als Agent auch sofort vertreten wollen. »Schreibt euch eure Scheiß Hautstadt-Romane selbst, ich setze weiter auf Liebe«, rief Viktor. Er hatte vergessen, daß er nichts mehr besaß, was er

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