Der Liebessalat
hätte einsetzen können. Dann besuchte er Adrian und Lisa und nahm Anteil an deren jungem Glück. Sie nannten sich »Schatzi«, liefen in Wollsocken herum und verließen ungern ihre Wohnung.
Eines Tages war Ellen anders als sonst. Keine Spur von der üblichen Souveränität. Sie war verliebt. Zumindest wurde sie geliebt. Ihre eigene Empfindung war ihr noch nicht ganz klar. Hubert. Aber nicht piffpaff deutsch wie der heilige Hubertus mit dem Hirsch, sondern französisch: Übähr. Übähr war Soziologe an der Universität in Genf. Ein echter Professor. Und dann noch dichte, dunkle Haare. Und etwas jünger als Ellen. »Gratuliere«, sagte Viktor ohne jede Häme, während sich Ellen nervös schminkte.
Viktor bewunderte ihre Unverfrorenheit. Er selbst fand es schon unzumutbar, sich die Nägel zu feilen oder sich zu rasieren, wenn Ellen in der Wohnung war. Er wollte ihr den möglicherweise schmerzhaften Verdacht ersparen, die Verschönerung könnte einer anderen gelten. Natürlich wollte er auch sich selbst lästige Fragen und giftige Anspielungen ersparen. Wenn ihn nicht alles täuschte, war Ellen eine Anfängerin auf diesem Gebiet, und er war ein wenig neidisch, daß sie sich kühner über die Konventionen hinwegsetzte als ein alter Hase wie er. Einwände würde er erst vorbringen, wenn sie ihn vor dem Verlassen des Hauses fragen würde: »Wie sehe ich aus?«
Viktor horchte sofort so tief es ging, in sich hinein. Wo war die Eifersucht? Ellen hatte mehr als ein Dutzend Affairen gut. Von daher war vor allem ein Entlastungsgefühl spürbar. Unterhalb dieser angenehm vernünftigen Gewißheit, daß endlich einmal für etwas Gerechtigkeit gesorgt wurde, regten sich ein paar archaische Reaktionen, aber nur sehr matt. Vor allem weil es mit der Schreiberei in letzter Zeit nicht klappte, war da die etwas herbe Empfindung des Abgemeldetseins. Wäre ein Romanerfolg zu feiern gewesen, könnte Ellen sich Viktors wegen noch einen Professor von der Sorbonne dazu nehmen. In Verbindung mit der augenblicklichen literarischen Erfolglosigkeit tat der Professor tatsächlich etwas weh. Ein arbeitsloser Lebensmittelchemiker wäre Viktor lieber gewesen. Er sog die für ihn als Schriftsteller so kostbaren, eifersuchtsartigen Gefühle tief in sich hinein und versuchte so, sie zu konservieren, denn er wußte, es würde nicht lange währen.
Zum Glück für Viktor war der Professor verheiratet. Es war gut, daß Ellen endlich einmal das Gefühl kosten konnte, mit jemandem zusammenzusein, der mit ihr seine Frau betrog. Ellen war aufgeregt und konnte nichts verbergen. Sie war richtig süß. Sie umarmte Viktor wie einen guten Freund und fragte ihn um Rat. Es rührte ihn, daß sie nicht in der Lage war, die Sache für sich zu behalten. Er konnte ihr nicht sagen, daß er sie bewunderte für diese Natürlichkeit. Sie hätte das als verdrehten Zynismus aufgefaßt.
Zwei Monate hielt die Affaire. Dann kam Ellen zu Viktor ins funktionslose Arbeitszimmer – ganz Sünderin, lächelnd mit feuchten Augen, als müsse sie Abbitte leisten, und sagte: »Es ist vorbei!« Viktor verbarg sein Bedauern. Von der Ella-Ehe und der Ira-Ehe wußte er noch, daß Frauen nichts mehr kränkt, als wenn man jetzt ein langes Gesicht macht. »Es ist vorbei«– diese drei Worte sind als ein schüchternes Geschenk gedacht, und die Höflichkeit verlangt, daß man sich für dieses Geschenk bedankt, auch wenn es einem nicht willkommen ist. Er umarmte Ellen und hielt sie lange und fand es dann richtig schön, sie so zu halten. Als er sie nach einigen Minuten noch immer nicht losgelassen hatte, machte sie sich frei und sagte: »Wenn dich das so zärtlich macht, dann sollte ich dich öfter betrügen.«
Ellens Affaire mit dem Soziologieprofessor aus Genf hatte Viktor nicht beflügeln können. Einmal, als der Professor Ellen abholte, waren sie sich zwischen Tür und Angel begegnet. »Bonjour Übähr!« So dicht waren die Haare des Rivalen auch wieder nicht. Sein Rasierwasser war ziemlich penetrant. Daß er überhaupt nach Rasierwasser roch? Sonst hatte Viktor keine Gelegenheit, Ellen zu beweisen, daß er ihr »Fremdeln«, wie er es manchmal nannte, um das spießige Wort »Fremdgehen« zu vermeiden, im Gegensatz zu ihr sogar ohne süffisante Bemerkungen hinnehmen konnte.
In der Zeit der Ella-Ehe war es Viktor nie vergönnt gewesen, bei einem verfrühten Nachhausekommen einen indischen Gartenbauarchitektur-Studenten im Schlafzimmer zu entdekken, weil es einen solchen Studenten einfach
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