Der Liebessalat
Ablenkungsversuch: »Darf ich fragen, wie du in den Besitz dieses kompromittierenden Dokuments gelangt bist? Ich habe es nicht so gern, wenn man in meinen Papieren wühlt.« Sie: »Dann sag den Idioten, die was von dir wollen, sie sollen hier nicht anrufen! Ich bin ans Telefon gegangen, nichtsahnend, und habe mich von einem Arschloch belabern lassen, das dich zu einem Vortrag einladen will. Was soll ich denn dann tun? Vielleicht die Augen zumachen? Ich kann nichts dafür, daß mir das Blatt aufgefallen ist. Laß deinen Unrat nicht herumliegen, wenn du nicht willst, daß ich ihn bemerke!« Der verlegene Ehemann macht noch einen letzten Selbstverteidigungsversuch: »Unrat? Jetzt übertreibst du!« Die Gattin aber ist gnadenlos: »Es ist das Letzte! Das kann man doch nicht schreiben, das ist ja wi-der-lich!« Sie liest jetzt endlich – höhnisch – die strittige Zeile vom Blatt: »
Alles ist so öd und leer
. Das kann doch nicht wahr sein!« Sie schreit jetzt: »Mit wem bin ich denn verheiratet? Du bist total übergeschnappt.
Alles ist so öd und leer
. Ich bin mit einem pubertären Kitschpoeten verheiratet.« Er nimmt das Blatt und betrachtet es stumm – und vielleicht auch mit einem Anflug von Erleichterung. Dabei fällt ihr auf, daß die Rückseite des Blatts auch beschrieben ist. Entsetzt liest sie ab: »
Mir ist die Sehnsucht abhanden gekommen
. Das wird ja immer schlimmer, das kann nicht dein Ernst sein!« Sie tobt. Er hat jetzt keine Lust mehr auf Reue: »Hab dich nicht so, du Hüterin des guten Geschmacks.« Er liest ab, etwas bitter: »
Mir ist die Sehnsucht abhanden gekommen
. Das kann man schon mal schreiben – vor allem, wenn es so ist.«
Viktor stellte sich erstklassige Schauspieler, eine erstklassige Regie, erstklassige Kameraführung und Beleuchtung vor – und schon ging es wie von selbst. Wenn er auch nur sekundenlang daran dachte, das, was er schrieb, könnte von schlechten Schauspielern in billigen Fernsehkulissen heruntergehaspelt werden, wurde ihm elend, und er konnte stundenlang nicht weiterarbeiten.
Ellen war glücklich, denn sie glaubte, Viktors Krise sei nun überwunden, das stattliche Honorar werde sein Selbstbewußtsein heben, und er werde, wenn er erst fertig wäre, wieder zu ihr ins Bett kommen wie ein normaler Mann und mit ihr und den Freunden essen gehen und in den Urlaub fahren und so witzig sein wie früher.
Sie wußte nicht, daß ihn die Arbeit in keiner Weise befriedigte oder gar erfüllte. Jeder Roman war eine lange Mitteilung an die Welt. Man lag auf der Couch, eine Menge Leute hörten einem zu, und dafür bekam man Geld. Man wurde entschädigt für eine Entblößung, die ein Vergnügen war. Man rächte sich, und man machte Geständnisse. Man schlüpfte in Rollen, oder man war man selbst – und niemand wußte, wann man wer war. Man konnte seine Figuren beim Reden an etwas anderes denken lassen. Und vor allem: Man liebte gewisse Figuren und näherte sich beschreibend auch ihren realen Vorbildern.
Nichts von alldem war beim Schreiben des Drehbuchs möglich. Leben hauchten ihm erst andere ein – und wer wußte, was das für ein Leben sein würde. In schnellen, kalten, witzigen, zynischen Dialogen beschrieb Viktor, wie sein System in die Brüche ging. Ellens Enterotisierungsprogramm ließ sich gut pointieren. Ellen und Ella machte er zu einer Hella, Ira ließ er ganz weg, die Tscherkessin Rebecca aus Hannover verwandelte er in eine Rachel aus Nürnberg, aus der pakistanischen Aza wurde im Handumdrehen eine ungarische Zsuzsa. Er selbst nannte sich Robert. Der hin und her fliegende. Aus der vermutlich fraulich-freundschaftlichen Übernachtung Rebeccas in Ellens Bett machte er ein kleines lesbisches Abenteuer von Hella mit Rachel.
Bis zur Mitte des Drehbuchs und zum Tief- oder Höhepunkt der Krise des Ehemanns brauchte Viktor kaum etwas zu erfinden. Was dann kam, war Phantasie, wenn auch nicht von der schmachtenden Sorte, sondern eher knallig: Die Ehefrau bittet unter irgendwelchen Vorwänden alle möglichen hübschen jungen Frauen ins Haus, in der Hoffnung, daß sich ihr zerknirschter Gatte in eine von ihnen verlieben und er damit seine Schreibkrise überwinden möge. Weil es richtig bunt zugehen sollte und auch weil Viktor das im Film so sehen wollte, waren es lauter ähnlich wohlgestalte Frauen mit hübschen Beinen. Alle tragen die schärfsten Lederhosen, und Robert kann sie nur an den verschiedenen Farben der Hosen unterscheiden. Das bringt Farbe in den Film und erheitert
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