Der Liebessalat
freuen«, rief ihnen Viktor noch nach und sammelte weiter seine Platten zusammen. Der Raum war jetzt leer, alle waren gegangen, heiter, aufrecht, beglückt – sogar strahlend. Und Viktor, der sie in Schwung und Feuer und gute Laune versetzt hatte, mußte räumen und ordnen und packen. Draußen nieselte es.
Der Veranstalter erschien und drückte Viktor das Honorar in die Hand, auch er gut gelaunt vom erfolgreichen Abend. Nebenan tranken sie noch einen Wein zusammen und tauschten Erfahrungen über die Unberechenbarkeit des Publikums aus. Viktor begriff nicht, warum er dem strahlenden Paar nicht vorgeschlagen hatte, auf ein Glas zu bleiben. Er war aus der Übung. Er hatte das Glück entwischen lassen. Normalerweise waren es die Frauen, die ihn ansprachen, und die Männer standen scheu dahinter. Hatte ihn das irritiert?
Sie würden nie in die Bongo Bar nach Basel kommen. Warum sollten diese beiden glänzenden Menschen wegen seiner Musik so weit fahren? Er würde diese Frau nie wiedersehen. Drei Monate, vielleicht auch vier oder fünf oder sechs, würde er ihr Bild in sich tragen, dann würde es anfangen zu verblassen. Unweigerlich. Er hatte so wenig Zeit gehabt, es sich einzuprägen. Er sah sie vor sich, deutlich, und sah doch nicht die Farbe ihrer Augen.
Viktor betrank sich, anders war es nicht zu ertragen. Er war mit dem Rad gekommen, das drückte jetzt aufs Gemüt. Die Taschen mit den schweren Platten hingen an dem Rad wie Geschwüre, dazu der Nieselregen und er selbst: ein torkelnder Fahrer. Er kam sich asozial vor. Ein alkoholisierter Obdachloser. Alt kam er sich vor. Voller Neid war er auf den schönen jungen Mann, der mit seiner schönen jungen Freundin jetzt irgendwo im Trockenen saß und es sich gutgehen ließ.
Und doch war Viktor lebendig wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Er hielt an einer Parkbank, setzte sich auf die nassen Bretter und ließ den Nieselregen auf sich rieseln. Kein Zweifel, er war verliebt – einseitig, unglücklich, aussichtslos – aber immerhin: Es war Liebe. Er hatte ein Ziel: diese Frau wiedersehen. Der Enterotisierungszauber, der ihn nun schon so lange gelähmt hatte, war vorbei. Vierzehn Tage lange konnte er auf ihr Kommen hoffen. Und er würde hoffen: wie ein Verrückter. Er spürte schon jetzt, wie die Hoffnung ihn jeden Tag lebendiger machte.
Ein paar Tage später kam Ellen von ihrem italienischen Konversationskurs und bat Viktor, Spaghetti zu kochen. Sie sei hungrig und fix und fertig, Italienisch werde sie nie lernen. Viktor sagte, er wisse schon, warum er sich den Kurs nicht zumute, und erfand den Kalauer: »Lieber polygam als polyglott.«
Ellen, obwohl erschöpft, schlug sofort zurück. Der Spruch durfte nicht unwidersprochen bleiben: »Sex propagieren immer die Leute, die zuwenig davon haben«, sagte sie: »Oder führst du ein Doppelleben, von dem ich nichts weiß?«
Viktor gab ihr einen Kuß und konnte sich für einige Sekunden vorstellen, den Rest des Lebens eine glückliche Graugans-Ehe mit Ellen zu führen. Treu sein, und basta. Dreh dich nicht um nach fremden Frauen. Er ließ Ellen das letzte Wort und kochte Spaghetti. Er hatte keine Lust, seinen albernen Spruch zu erläutern und darauf hinzuweisen, daß er mehr die platonische Polygamie gemeint habe. Frauen ab vierzig lachten nur, wenn man ihnen mit so etwas kam. Sie waren sexfixierter als die ab vierzig zur Romantik neigenden Männer. An liebende Männer glaubten Frauen ab vierzig kaum noch. Sie ließen sich relativ leicht belauschen, indem man sich schlafend stellte. Es dauerte keine Minute, und schon erfuhr man, daß sie nichts widerlicher und beleidigender fanden als einen in Gegenwart von Frauen einschlafenden Mann. Alles in allem war aus einer solchen Lauschaktion der Eindruck zu gewinnen, Frauen ab vierzig seien froh, wenn ihre Männer einigermaßen höflich waren, für gute Weine im Haus sorgten und so uncharmant ihre Lust anmeldeten, daß man sie guten Gewissens zurückweisen konnte.
Nach dem Essen lobte Ellen den schlichten Tomatensugo, drohte wieder einmal Teilzeitarbeit an und malte Viktor mit sadistischer Lust aus, wie schön es wäre, wenn er drei Tage in der Woche nur für sie da wäre – und Viktor sagte: »Ich würde mich sofort totschießen.« Darauf Ellen, ganz Rechtsanwältin: »Mit welcher Pistole?«
Dann gähnte sie lang und laut und sagte mit unüberbietbarer Beiläufigkeit: »Ach übrigens, Penelope war auf deiner komischen Jazz-Veranstaltung.«
Sofort tobte Viktors Herz im Hals. In
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