Der Liebessalat
mal orange und mal gelb und mal rot und mal weiß. Man mußte es nicht einmal gießen und pflegen. Es wucherte von selbst. Man mußte es stutzen, das machte ihm nichts aus, im Gegenteil. Viktor liebte nie »eine andere«, was für eine unsinnige, unfreundliche, vorsintflutliche, sträfliche Behauptung war das – wie viele Tragödien hatte diese Behauptung schon ausgelöst. Viktor liebte andere Frauen auch. Das war alles. Alles andere war graue Vorzeit. Nicht er log, sondern die anderen logen. Wer sich Treue schwor, log. Und wer treu zu sein vorgab, log. Treue war auch nichts anderes als eine Phantasie – eine schöne übrigens.
Und doch war auch in der schönen neuen Welt der unverbotenen Liebe der Tod in der Nähe, wie Viktor nun deutlich spürte: nicht als eifersüchtige Raserei allerdings. Lebensmüdigkeit überkam ihn, wenn er an ein ruhiges Dasein ohne die Belebungen neuer fremder Erotik dachte. Keine Katastrophe – aber ein Grund, nicht mehr am Leben zu hängen. Ehe er sich hoch in die Berge hinauf empfehlen und betrinken und erfrieren würde, würde er noch ein paar Rückeroberungsversuche machen. Nie mehr bei jüngeren Frauen, die wandten sich ab oder wie Selma, diese Verräterin, noch älteren Männern zu. Selma, die so eisig schwieg, wie einst Valeska eines Tages einfach geschwiegen hatte. Vielleicht war auf die Altersgenossinnen mehr Verlaß. Wenigstens bei Ira und der Tscherkessin würde er sein Glück noch einmal versuchen. Drei mal drei Tage im Jahr mit Ira in Amsterdam, drei mal drei Tage im Jahr mit der Tscherkessin in Paris – vielleicht reichte das aus, um für die restlichen 365 minus 18 ist 347 Tage im Jahr ein zufriedener Gatte zu sein, der imstand ist, mit seiner Frau ins Theater zu gehen, ohne kulturbürgerliche Erstickungsanfälle zu bekommen.
Ein anderer beliebter Grund, sich zu verabschieden, war die berufliche Pleite. Auch hier war Viktor kein klassischer Fall. Er war beruflich nicht am Ende. Er war nicht einmal ein Arbeitsloser. Er war auch nicht so vergessen, wie er befürchtet hatte. Es gab ab und zu Anfragen von Zeitschriften. Sie wollten kleine Texte von ihm haben, die nicht schlecht bezahlt wurden. In den Jahren der Romanschreiberei hatte er dazu wenig Zeit gehabt. Doch auch ohne seine Romanhonorare verdiente er mittlerweile wieder genügend Geld, um nicht das Gefühl zu haben, die Wohnung in Frankfurt werde von Ellen allein finanziert. Aber er war verwöhnt. Jahrelang hatte er das Privileg genossen, seinen Unterhalt mit dem Ausbreiten seiner Liebesgeschichten zu verdienen, ein System, das immer wieder neue Liebesgeschichten erzeugt hatte. Jede groteske Alibibeschaffungsmaßnahme seines Liebeslebens war ein Jahr später schon eine amüsante Episode in seinem nächsten Roman. Er beichtete und er verspottete sich gleichzeitig – und damit verdiente er Geld. Es war sein gutbezahlter Job gewesen, die unvermeidlichen Infamien des Lebens in Witze zu verwandeln. Er hatte sich unentwegt mit der Jagd nach Liebe beschäftigt und mit der literarischen Verwertung dieser Jagd. Jeder Roman war der Versuch gewesen, Liebe zu erzeugen, zu bewahren, zurückzugewinnen. Diesen Spitzenjob schien er los zu sein. Was ihm nun blühte, war ein normales Autorendasein, mit irgendwelchen Reportagen über irgendwelche Leute – und zwischendurch auch mal wieder ein Roman über dies oder das, vielleicht über einen Hochstapler oder auch einen Abschiebehäftling, warum nicht, muß alles auch geschrieben werden – aber nicht von ihm, fand Viktor, und seine Lust am Weiterleben schwand.
Es sah nicht so aus, als würde aus dem Drehbuch, das Viktor geschrieben hatte, jemals ein Film entstehen – und wenn, würde das seine Verfassung kaum verbessern. An einen neuen Roman war nicht zu denken, denn er hatte kein Ziel vor Augen, auf das er mit der nötigen Besessenheit hätte zuschreiben können. Kein neuer Roman bedeutete: keine Veranstaltungen, keine Lesungen, keine Lesereisen. Auch an diesem Punkt war der Kreislauf gestört. Viktors Reisen und seine Auftritte waren ein wichtiger Nährboden für neue erotische Umtriebe gewesen.
Ein gewisser Ersatz für die Lesungen waren in letzter Zeit Viktors Auftritte als Diskjockey. Ellen hob die Augenbrauen und atmete hörbar tief durch, wenn es wieder soweit war und Viktor tagelang seine musikalischen Schätze durchhörte und auswählte und dann seine Taschen mit Platten und CDs füllte, um als »DJ Goldmann« in Luzern, Bern, Winterthur, Konstanz, Freiburg, Lindau,
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