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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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den letzten Wochen hatte er Dutzende von langen Bergspaziergängen gemacht, stundenlang war er schweigend neben Penelope hergegangen, viele Male hatten sie sich zugelächelt und umarmt. Nun fühlte er sich ertappt und bekam kaum zwei gleichgültige Wort heraus: »Ach, was.« Er wagte nicht nachzufragen, war aber sicher: Sie war es. Die junge strahlende Frau mußte Penelope gewesen sein. Sie war identifiziert.
    »Mit ihrem Freund war sie da«, sagte Ellen.
    »Ich glaube, ich habe sie gesehen«, sagte Viktor: »Sie steht sehr schlank und auffallend gerade da, und ihr süßer stolzer Kopf sieht aus, als balanciere sie ihn auf ihrem dünnen Hals. Ein Strahlen geht von ihr aus.«
    »Exakt«, sagte Ellen, »vor Gericht hätte die Beschreibung wenig wert, aber das ist sie, Penelope. Man könnte meinen, du bist in sie verliebt.«
    »Bin ich«, sagte Viktor, »sie sieht hinreißend aus.«
    »Meine Rede«, sagte Ellen, »ich sage das seit Jahren.«
    »Eine Gazelle«, sagte Viktor, »verwunschen irgendwie.«
    »Fang nicht an zu schleimen«, sagte Ellen.

    Viktor wollte so ehrlich wie möglich sein, ohne die ganze Wahrheit zu sagen: »Eine Antilope. Wußtest du, daß die Italiener Antiii-lope betonen, wie Penééé-lope?«
    »So weit sind wir noch nicht«, sagte Ellen, »woher weißt du denn das?«
    Viktor schwieg. Er verriet nicht, daß er sich die Italienischlehrerin seit Barbaras Du-aber-Viktor-darfst-Penelope-niemals-sehn-Verheißung als alpine Gazelle vorgestellt hatte – und als Antilope, und daß er sie in seinen Tagträumen schon hundert Mal italienisch begrüßt hatte, wenn sie sich auf seinen Bergspaziergängen zu ihm gesellte: »Buon giorno, antilope Penelope, gazzella delle alpi!«
    »Man muß sie lieben«, sagte Ellen und gähnte wieder.
    »Sie hat mich nicht angesprochen«, sagte Viktor, »komisch, würde man doch normalerweise machen: »Buena sera, ich bin die Italienischlehrerin Ihrer Frau.«
    »Sie ist scheu«, sagte Ellen. Und nach einer kleinen Pause schadenfroh: »Wie Gazellen eben so sind.«
    Viktor konnte sich nicht beherrschen. Er mußte es wissen: »Sie hat dir nicht verraten, wie sie meinen Musikabend fand?«
    Ellen genoß ihre Macht: »Ihrem Freund hat es gefallen, hat sie gesagt.«
    Viktor war entsetzt: »Ihr nicht?«
    Ellen, als wüßte sie, wie weh Viktor die folgenden Worte tun würden: »Das Urteil ihres Freundes scheint ihr sehr wichtig zu sein. Sie redet viel von ihm.«
    »Aha«, sagte Viktor, weit zurückgeworfen. Was nützte es ihm, wenn die unbekannte Schöne identifiziert war, und doch immer unerreichbarer wurde?
    »Was bin ich erschlagen«, sagte Ellen und kündigte ihren baldigen Gang ins Bett an. »Du wirst ja wohl noch aufbleiben.«
    »Allerdings«, sagte Viktor, »es ist erst halb zwölf.«
    »Da müssen Dichter noch viel arbeiten«, sagte Ellen spitz – und entschuldigte sich, als Viktor sie böse anstarrte: Sie habe damit nicht auf Viktors Schaffenskrise anspielen wollen.
    Viktor konnte das Wort »Schaffenskrise« nicht ausstehen. »Ich glaube, das ist vorbei«, sagte er, »ich werde in nächster Zeit sehr viel schreiben.«
    »Wäre schön«, sagte Ellen. Und dann sagte sie noch: »Wenn du mal irgendwann Zeit hast, kannst du vielleicht die Sachen, die du neulich aufgelegt hast, auf eine Kassette aufnehmen. Die Musik hat Penelope schon gut gefallen. Du hingegen seist etwas krumm dagestanden. Es eilt aber nicht, sagt sie.«

    Viktor zog und drängte es mit Macht an den Schreibtisch in sein Arbeitszimmer, wie es ihn schon seit langer Zeit nicht mehr gedrängt und gezogen hatte. Kaum noch wahr, wie weit diese Lust loszuschreiben zurück lag. Damals, als er bei der Prinzessin Aza und bei Selma, dem so grausam schweigenden Fräulein Strindberg, sein Glück versucht hatte, war auch diese begeisterte Gier dagewesen, eine Frau mit endlosen Ketten von Worten an sich zu binden. Auch als er einst Ira mäßig obszöne und der Tscherkessin unmäßig obszöne Briefe geschrieben hatte, war ihm ähnlich getrieben zumute gewesen.
    Eine gute Stunde saß Viktor vor dem aufgeklappten Laptop, zitternd vor Anspannung, zwischendurch leise lachend und übervoll mit Mitteilungsbedürfnis. Dann fing er an wie ein Rasender zu schreiben.
    »Liebe Penelope«, schieb er. Er schrieb ihr alles, die reine Wahrheit mit allen Einzelheiten. Die ganze Vorgeschichte: wie durch Ellens Penelope-Schwärmereien ein zunächst unbegreifliches Bild von ihr in ihm entstanden sei, wie die ersten Nachrichten über ihre

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