Der Liebessalat
Ellen mit gebotener Ironie zu den Freunden. »Genau«, sagte Viktor. »Was wird es?« fragte Thomas. »Das darf man den Meister nicht fragen«, sagte Barbara. »Er recherchiert noch«, sagte Hanna. »So ist es«, sagte Viktor und damit war das Thema »Was macht Viktor den ganzen Tag« durch, und die Lage der Welt und die Blödigkeit der in die falschen Filme strömenden Volksmassen waren wieder dran.
Viktor schrieb. Er schrieb an Penelope und erzählte von der Tscherkessin, von Sabine und der Nasenring-Tina und beschwerte sich bei Penelope, weil sie ihm seine Vorlieben austreibe. Die geilsten lila Lederhosen, die ihn bisher noch immer zum Zupakken gereizt hätten, die verworfensten Anspielungen orientalischer Sklavinnen der Lust, die apartesten Nasenringe – all das reize ihn weniger als die Vorstellung, ein bißchen am Fell der Gazelle zu schnuppern und von ihrer Gazellenzunge zwischen dem Wiederkäuen ein wenig über seine Steinbockschnauze geschleckt zu werden.
Nach ihrem orangefarbenen Signal kannte Viktor kein Halten mehr. Allein die Frage, warum er so viel für sie empfinde und warum ihn die Vorstellung ihrer Gazellensprünge beim Eintreffen seiner Briefe so glücklich mache, regte ihn immer wieder zu seitenlangen Überlegungen an. Dann die Fragen, warum ihre paar Zeilen ausreichten, um ihn Tausende von Zeilen an sie schreiben zu lassen, warum es ihm egal sei, was ihr liebster Freund Urs von ihm halte, und was sie um Himmels Willen für ihn, Viktor, empfinde, oder ob er nur Empfindungen auslöse, die dann womöglich anderen zugute kämen? Da sie schwieg, schlug er selbst die verschiedensten Antworten vor.
Er fragte sie, er fragte sich, warum ihn ihr Schweigen nicht wahnsinnig mache, zumal er meist einen unglaublichen Zorn auf schweigende Frauen entwickelt habe. Er begreife es nicht, warum er ihr Schweigen als Zustimmung deute. Er sei von seinen fetten Jahren daran gewöhnt, zehn oder zwanzig Mal mehr Briefe zu schreiben als er zurückbekomme, aber daß er sich bisher mit einem einzigen Brief zufrieden gebe, sei neu. Wenn er allerdings nicht bald ein Lebenszeichen von ihr bekäme, sei es aus, drohte er.
Ihren Satz mit den Gazellenluftsprüngen hatte Penelope mit der Anmerkung versehen, ihr Freund Urs bezeichne diese Sprünge als »elfengleich«. Allein dieser winzige Zusatz genügte Viktor, um seitenlange Abhandlungen loszulassen, in denen er hinter vielen Witzen vorsichtig die Vermutung plazierte, ihr Freund, der ihr, wie Viktor leider vermuten müsse, körperlich nahestünde, liebe an ihr offenbar das körperlose, eben das »Elfengleiche«, während er, Viktor, der ihr körperlich leider immer noch ziemlich fern stünde, ihre gazellenhafte Körperlichkeit sehr wohl wahrnehme und sich nach nichts mehr sehne als nach der versprochenen »Umärmelung«, die er in weiteren Briefen mal diskret, mal anzüglich beschrieb oder »plante«, wie er es nannte.
Er schrieb an Penelope und dachte nur an sie und hatte nur ein Ziel: Anteile von ihr zu erwerben. Auch das schrieb er: »Ich will Sie nicht haben, Signora Penelope, ich will Sie nicht besitzen, pah, ich kann und will Sie Ihrem liebsten Elfenfreund nicht wegnehmen, ich will nur ein paar exklusive Gazellenanteile von Ihnen, das ist alles. Ich werde kämpfen, bis Sie mir zehn Prozent von sich überlassen, zehn Prozent ihrer Zeit, zehn Prozent Ihrer Gefühle.«
Viktors alte Energie war wieder zurückgekommen, drei Stunden Schlaf reichten aus, er war doch nicht alt und verbraucht, er konnte wieder lieben, und er schleuderte seine Liebe täglich heraus. Sein Umgang mit Ellen war herzlich, die in der Zeit des Bleistiftkauens trüb gewordene Ehe bekam wieder Farbe. Daneben wuchs seine Lust, Ira und die Tscherkessin zurückzuerobern, mit jeder Zeile, die er an die alten, enterotisierten Liebsten schrieb. Und selbst mit Selma würde er es noch einmal versuchen. Er bedankte sich euphorisch bei Penelope, er umschlang sie mit zärtlichen Worten, weil sie ihm das Leben zurückgeschenkt habe – und zwar allein dadurch, daß sie sich lieben lasse, daß sie ihm die Vorstellung erlaube, sie springe in die Luft, wenn sie einen Brief von ihm bekomme. Mit so wenig Gegenleistung habe er noch nie geliebt, er wisse nicht, ob das ein Zeichen von Reife oder von beginnender Greisenhaftigkeit sei, es sei ihm auch egal, weil die Liebe seinen ganzen Körper durchdringe und sich nicht alt und mürbe anfühle, sondern ziemlich vital, um ehrlich zu sein.
Er überschüttete sie mit Analysen
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