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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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und Visionen, er flehte sie an, endlich einmal zu antworten, endlos könne er nicht ohne Antwort an sie hinlieben, wenn es ihr allerdings zu viel werde, möge sie bitte nicht antworten, denn nichts wäre tödlicher für ihn als ein Brief von ihr mit der Botschaft: »Jetzt ist es aber genug!«–»Das würde mich töten«, schrieb er, »wenn Sie mich töten wollen, dann wissen Sie jetzt, wie es geht.«
    Auch diese Erklärung hatte weitere Dutzende von Briefen mit Betrachtungen über den Wert von Illusionen, den Nutzen des Realitätsverlusts und die Wonnen der Blindheit zur Folge, Briefe, in denen er sich fragte, ob sie seine Briefe überhaupt noch lese oder ob sie ihn für übergeschnappt halte. Er schrieb ihr, daß er zwei Jahre nicht mehr geliebt und geschrieben hatte, er verriet ihr, daß irgendwann später einmal seine Liebe zu ihr in einen Roman fließen würde, daß es ihm aber jetzt nicht auf diesen Roman ankomme, sondern allein auf sie, daß sie sich aber schon einmal einen Namen ausdenken könne für die Figur, für die sie das Vorbild sein werde, wobei der Name Penelope leider unübertrefflich sei wie meistens die Wirklichkeit. Diese Frau im Roman werde wohl mit einem Mann zusammenleben, der sie als Elfe verehre, und dann werde es einen anderen geben, der nach ihrem Köper schmachte – und der sie von fern mit der nötigen Sinnlichkeit und Phantasie versorge. Eine moderne Variante des
Cyrano de Bergerac
, der mit seiner langen häßlichen Nase dem schönen Liebhaber die Briefe schrieb, oder des Films
ll Postino
, in dem ebenfalls ein Dichter einem literarisch unbegabten Verliebten auf die Sprünge helfen mußte, wobei die erste Verfilmung des Romans
Mit brennender Geduld
die viel bessere sei. Allein schon der Titel: Mit brennender Geduld. Exakt dies sei sein, Viktors, Gemütszustand. Und wenn dieser ältere Film jemals noch irgendwo gezeigt werde, dann müsse er ihn zusammen mit ihr sehen. »Hören Sie, Penelope? Ohne Urs. Ohne Ellen. Das geht die nichts an.«
    Längst hatte Viktor Stoff und Gefühl für einen nächsten Roman zusammen. Allein die paradoxe Figur einer Frau, die von ihrem Freund oder Ehemann aus der Nähe platonisch verehrt und von einem Platoniker von fern körperlich begehrt wird, war einen Roman wert. Diesen Roman aber würde er erst schreiben, wenn er seine Anteile bei Penelope wirklich gewonnen hatte, vorher interessierte ihn die literarische Verwertung nicht. Die Wirklichkeit ging vor. Auch das schrieb er Penelope: »Erst das Fressen, dann die Moral, Signora Gazzella, erst die wirkliche Liebe, dann ihre literarische Sublimation.«
    In drei Wochen waren Dutzende von langen Briefen entstanden. Viktor verließ kaum das Arbeitszimmer. Im Café wollte er nicht schreiben. Er benutzte den Laptop, druckte die Briefe aus, und weg waren sie. Er wollte keine Papiere mehr haben und auf Bügelbrettern stapeln. Auf der Festplatte des Computers, das war ihm klar, sammelten sich kostbare Ideen und Phantasien und Formulierungen, die er irgendwann in eine literarische Form bringen würde – aber nicht jetzt, jetzt zählte nur Penelope und diese rätselhafte, unablässig aus ihm heraussprudelnde Liebe. Er ließ Ira und die Tscherkessin Teile dieser Liebe sehen und war sicher, daß er nichts als Hohn und Spott ernten würde, aber die Tscherkessin schrieb nicht zurück, daß er ein alter Sack sei, der einem reaktionären, romantisch-bourgeoisen Hirngespinst hinterherjage, und Ira schrieb nicht zurück, daß er wieder mal als purer Narziß an seiner eigenen Verliebtheit herumlutsche – nein, Ira schrieb, sie beneide Penelope, und die Tscherkessin schrieb, sie beneide ihn.

    Der Filmproduzent meldete sich wieder und sagte, jetzt sei eine Verfilmung doch wieder in Reichweite. Viktor wollte damit nichts mehr zu tun haben, konnte aber nicht verhindern, daß ein Regisseur und Schauspieler auftauchten und abermals die Lebendigkeit der Dialoge lobten. Er starrte wie ein Legastheniker in sein eigenes Drehbuch und verstand den Sinn der Worte nicht. Er hatte seinerzeit aus einer durch Liebesmangel ausgelösten Schaffenskrise eine Komödie gemacht, nun interessierte ihn weder die Krise noch die Komik, sondern nur die wirkliche Liebe. Er erzählte einem Regisseur von seinen Briefen an Penelope, und der sagte gleich: »Schreib das rein, schreib das rein!« Natürlich würde er das nie tun! Der Regisseur fragte, ob sich Viktor vorstellen könne, daß das Ehepaar am Schluß einen Autounfall habe, überleben ja, aber

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