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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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finden Sie im Lauf der Woche Gelegenheit, in das Café zu gehen und das Zutreffende anzukreuzen. Danke.«
    Schon am Mittag des ersten Tages ging Viktor nachsehen. Das »Nein« war kräftig durchgestrichen, das »Ja« umkringelt. Dazu der Vermerk. »Schau heute Nacht in die Röhre, Vittore!« dazu gab es eine Fußnote: »Ich meine deine Zeitungsröhre!«
    Um neun ging Viktor aus der Wohnung, die Treppe hinunter und sah unten im Hausflur in der Zeitungsröhre nach. Nichts. Um zehn sah er nach. Nichts. »Was gehst du da dauernd nachsehen?« fragte Ellen. »Ich erwarte Fan-Post«, sagte Viktor. »Die Zeiten sind leider vorbei«, sagte Ellen. Als um zwölf noch nichts da war, wurde er unsicher, und alles in ihm wurde bitter. Er würde zwar noch die ganze Nacht lang nachsehen, aber der Beweis, daß die Liebe nur eine Erfindung war, war schon so gut wie erbracht. Um ein Uhr lag ein unauffälliges Kuvert in der Zeitungsröhre. »Herrn Steinbock« stand vorn drauf, und hinten: »Die Gazelle«. Darunter die Worte: »Nicht verzweifeln!!!«
    Viktor riß den Brief auf und setzte sich auf eine Treppenstufe. »Deine Worte begleiten mich den ganzen Tag«, schrieb sie, »von dem Augenblick an, an dem ich morgens unter der Dusche stehe und das heiße Wasser auf meinen Körper prasselt.« Allein diese intime Information hätte Viktor gereicht, um Penelope ein Leben lang zu lieben und ihr täglich zu schreiben. Eine Sprachschule sei nichts Aufregendes, fuhr der Brief fort. Wenn Post von ihm komme, könnte sie schreien vor Vergnügen. Mittags gehe sie mit seinen Briefen an den See, und jetzt im Herbst schlage sie manchmal vor Lebenslust mit ihren Füßen in die Laubhaufen. »Yeah!« schrieb sie. Manchmal schreie sie vor Glück das Laub so laut an, »daß es in doppelten Saltos herumwirbelt: Yeah!« Sie schrieb, daß auch sie in zwei Welten lebe, und in diesem Augenblick wurde Viktor klar, daß er das auch tat. Es war ihm so, als hätte sie beide dieselbe seltene Krankheit gepackt. Keine Zeile von Urs, ihrem liebsten Freund, kein Wort von Ellen. Alle Skrupel, die Viktor geplagt hatten, waren verschwunden. Es gehe Viktor nichts an, schrieb sie, aber sie sei ziemlich leblos gewesen, durch seine Briefe sei wieder Schwung in ihr Leben gekommen: »Ich werde zu einer Gazelle, die Dusche wird zu einem Wasserfall in den Bergen, manchmal bin ich eine total verrückte Amazone, die in Siena jauchzend um den Palio jagt.« Am Schluß schrieb sie: »Sei nicht traurig, mein Steinbock, daß der Brief hier endet. In Gedanken schreibe ich weiter.« Und noch einmal mit drei Ausrufzeichen der Zuruf, der auch hinten auf dem Kuvert stand: »Nicht verzweifeln!!!« Ein Zuruf, der Viktor klarmachte, daß die Lage dieser Liebe eigentlich zum Verzweifeln war.
    Ellen schlief schon, er ging an seinen Schreibtisch, schrieb den Brief wie schon Penelopes ersten langsam ab, um ihren Gefühlen besser auf die Schliche zu kommen, und er zitterte vor Glück dabei. Dann schrieb er ihr, wie er als Steinbock aus angemessener Entfernung die Gazelle unter dem Wasserfall beobachten, wie er, wenn sie von dort verschwunden sei, an diese Stelle treten und sich freuen würde, da zu stehen, wo eben die Gazelle stand. Wie er von den Küssen ihres Gazellenmauls träumen würde. Wie er mit gesenktem Haupt vor ihr stehe und sich schäme, daß er ein alter Steinbock sei. Und dann wieder jenseits der alpinen Metaphorik: Wie er sich wundere, von ihr die Schreie der Rockmusik zu hören. »Yeah!« Willkommen im lauten Leben. »Du warst mir so entglitten«, schrieb er, »ich sah dich schon züchtig wie die homerische Penelope am Webstuhl mit Fäden hantieren, Salbeitee trinken und deinen Kopf zu zarter Renaissancemusik schräg halten.«
    Schon hatte Viktor Lust, lauter musikalische »Yeahs« für Penelope zusammenzustellen, schon tat er es und kommentierte die Zusammenstellung in einem Begleitbrief. Den Klassiker der Beatles »She loves you – yeah, yeah, yeah« lasse er weg, schrieb er, und zwar aus drei Gründen: 1.) zu bekannt, 2.) sei die Aussage zu anmaßend in seiner Situation, und 3.) sei ihm die Melodie schon immer zu harmlos-heiter und nicht ekstatisch genug gewesen: ein fröhlicher Elfentanz sozusagen. Das war eine Spitze gegen Penelopes Freund Urs, der es gewagt hatte, sie »Lopi« zu nennen und ihre geilen Gazellesprünge als »elfengleich« zu bezeichnen. Ganz und gar nicht elfenhaft war der
Yer Blues
der Beatles aus dem weniger bekannten »Weißen Album«: Wer sonst konnte so

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