Der Liebessalat
integrativen Talenten seine brisanten Liebschaften entschärft, wie ihn das lahmgelegt und er seit gut zwei Jahren nichts mehr zu Papier gebracht habe, wie ihm die Lust, Briefe zu schreiben und vor allem die Partnerinnen abhanden gekommen seien, wie er sich nun wie erlöst fühle, endlich wieder einmal ein Ziel vor Augen zu haben. Zwar sei er alles andere als esoterisch, aber daß sie Penelope heiße, empfände er doch als sinnig, das mache ihm klar, auf welchen Irrwegen er bisher herumgetaumelt sei. Die Enterotisierungskampagne sei eine Lehre für ihn gewesen, schrieb er, daher werde er, obwohl er sich nach nichts mehr sehne als danach, ihr, Penelope nahe zu sein, niemals zusammen mit Ellen den italienischen Konversationskurs besuchen, denn dies wäre das sichere Ende des Abenteuers, das hier so zauberhaft züngelnd begänne.
Journalistische Brotarbeiten, deren Honorare er doch gut hätte brauchen können, lehnte Viktor ab, denn sie hinderten ihn am Schreiben seiner Briefe an Penelope. So sonderlich war er in den zwei trüben Jahren des Nichtliebens und Nichtlebens und Nichtschreibens geworden, daß er eine Beschäftigung mit der Politik als Verrat an der Liebe empfunden hätte.
Als sie noch in Franfurt lebten, hatte sich Viktor wie jeder vernünftige Mensch für Politik interessiert. Dabei hatte er zunehmend das Gefühl gehabt, die politischen Macher hätten sein Interesse nicht verdient. Seitdem sie in Zürich lebten, war das Interesse an der Politik weiter abgeflaut.
Wenn er um seine politische Meinung gebeten wurde, irritierte er seine Freunde gern mit Worte wie: »Ich arbeite daran, politisch interesseloser zu werden.« Das war nicht einmal gänzlich gelogen. Er faßte gute Vorsätze: Die Zeitungen vierzehn Tage lang nicht anfassen! Er hatte keine Lust mehr, seine Zeit damit zu verbringen, sich von all den Jammergestalten in Rage bringen zu lassen.
So lehnte er es trotz eines stattlichen Honorars ab, eine Glosse über einen Minister zu schreiben, der sich pflichtvergessen und frischverliebt auf einer Urlaubsinsel getummelt hatte, obwohl er nach Ansicht sämtlicher Zeitungen wegen einer Krise sofort seinen heimatlichen Schreitisch hätte aufsuchen sollen. »Das glossiere ich nicht«, sagte Viktor. Der Mann war ein Homunkulus, das einzige, was man ihm verzeihen konnte, war seine Verliebtheit, fand Viktor und starrte in eine Fernseh-Talkshow, wo man darüber diskutierte, ob es kein politisches Verantwortungsgefühl mehr gäbe. Einer, auch er ein Homunkulus, sprach ständig von der Notwendigkeit von Visionen und richtete dabei seine Augen visionär in die Weite.
Viktor knipste den Fernseher aus und suchte einen alten Song von Bob Dylan, der
Visions of Johanna
hieß. Die Platte war in der Frankfurter Wohnung, aber das Internet half. Nach einigen Mühen war der Song herbeigezaubert und der Text dazu auch.
Viktor war hingerissen. Politikern sollte man Visionen verbieten. Visionen waren etwas für Poeten. Er hatte früher nicht auf den Text geachtet. Jetzt hörte er den Dylan-Song mehrmals, und seine Identifikationsbereitschaft kannte keine Grenzen mehr. Johanna, das war niemand anderes als Penelope, die ihm doch auch unentwegt vor Augen schwebte, der er erst heute morgen geschrieben hatte und der er morgen wieder schreiben würde.
Er freute sich, daß er nicht zu dumm war, die modernsten Mittel zu benutzen, das verjüngte ihn. Er hatte sich aus dem Netz in irgendwelchen komprimierten Versionen etwas heruntergeladen, was sonst nur Vierzehnjährige tun, jedenfalls nicht Vierundvierzigjährige, das ließ ihn den Altersunterschied zu Penelope weniger schmerzlich empfinden, die Bob Dylan kaum kennen dürfte – Penelope, die nicht hier bei ihm war, wie Johanna nicht beim Sänger dieses Songs war, Penelope, deren Bild in seinem Kopf einen festen Platz eingenommen hatte. »And these visions of Johanna that conquer my mind.« So war es: die Visionen von Penelope beherrschten Viktor – und doch hatte er in sentimentalen Stunden das Gefühl, sie seien alles, was er hatte und was ihm blieb: »And these visions are now all that remain.« Obwohl Viktor doch selbst Worte genug hatte, um seinen Zustand zu beschreiben, gefiel es ihm, daß ihm diesmal ein anderer die Beschreibung abnahm.
Die ständige Präsenz der abwesenden Geliebten. Und wie das gesungen wurde: Gedehnte Laute, genial gestöhnt, herb geseufzt, eine schlichte Feststellung, keine Klage, ein bißchen affektiert auch und naseweis und wirr, eine hochpoetische
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