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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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schön das selbstmörderische und auf Englisch irgendwie wohlklingende Wort »suicidal« singen wie hier John Lennon? Wenn er sein Totsein besang, verbreitete das keinerlei Schrecken. Im Gegenteil, man hatte Drang, nach jeder Zeile begeistert »Yeah!« zu schreien : »The eagle picks my eye«–»Yeah!«–»The worm he licks my bone«–»Yeah!«
    Viktor nahm
Mona
auf, 1957 von Bo Diddley voller Lust beschwörend heruntergerockt: »I say hey, Mona, I say yeah, yeah, yeah, yeah, Mona I tell you Mona what I wanna do, I’ll build a house next door to you, can I see you sometimes? We can blow kisses through the blinds, oh, Mona, yeah Mona.«–»Wenn ich kein verdammter alter Bock wäre, sondern Bo hieße und einundzwanzig Jahre alt, und du wärst achtzehn, ich würde dich so ansingen«, schrieb er dazu und nahm dann den krachigen
Devil Woman Blues
mit vielen »Yeahs« von Charles Mingus auf – und danach ein phantastisches Brunstgeschrei der jungen Tina Turner:
I’ve Been Loving You Too Long
 –, aber natürlich liebt sie ihn nicht einfach schon viel zu lang, sondern: viel zu lang, um damit aufhören zu können. Viktor bat Penelope, sich vorzustellen, wie die homerische Penelope auf Odysseus wartend in ihrem Palast diesen Soulsong herausschreit.
    Die ganze Nacht stellte Viktor Songs zusammen, in denen ein »Ja« zur Lust und zur Liebe und zum Leben verkündet wurde, und am nächsten Tag schlich er in die Sprachschule und sah nach, wann Penelope ihre Kurse hatte und wann ihre Pausen, und dann paßte er sie nach einer Stunde ab, als sie im Foyer an der Rezeption stand und irgendwem irgendwas erklärte, und als er sie nun zum ersten Mal aus der Nähe beobachten konnte, sah er, daß sie noch viel aufrechter dastand als in seiner Erinnerung, und ihre Schultern waren noch gerader als in seiner Vorstellung, und ihre Arme pendelten noch lässiger und äthiopischer von diesen Schultern herab. Und Viktor stellte sich hin, als habe er auch eine Frage, und als sie dann mit dem anderen Menschen fertig war und zu ihm hinblickte und er zum ersten Mal ihre großen Gazellenaugen sah, die nicht dunkelbraun waren, wie er gedacht hatte, sondern bernsteinfarben wie die von Ira, da war sie kaum überrascht, und sie wurde nicht rot, und schon gar nicht erschrak sie. Ihr breiter Gazellenmund wurde noch breiter, sie lächelte und strahlte, wie sie vor Wochen nach seiner Veranstaltung gestrahlt hatte, als er sie zum ersten Mal sah. »Hey«, sagte sie, und Viktor reichte ihr sein Kuvert mit dem Brief und der Musikkassette, und sie griff schnell danach und drückte es einen Augenblick fest an sich und wiegte ihren Oberkörper und zeigte ihm, wie sie sehr sich darauf freute.
    Viktor ging, sie winkte mit ihren Wimpern, die Arme waren nicht frei, sie hielten sein Kuvert, das nun ihre Beute war, und natürlich konnte Viktor nicht anders, als sofort den nächsten Brief an sie zu beginnen, in dem er genau beschrieb, wie hinreißend sie soeben seine Post in Empfang genommen habe – und daß es Viktors Lebensziel sei, einmal so innig von ihr gedrückt zu werden wie dieses glückliche Kuvert.
    Seine Briefe wurden nun noch länger und drängender, und meist übergab er sie ihr am Tresen der Sprachschule selbst. Strahlte Penelope einmal nicht so, wie sie strahlen konnte, folgten im nächsten Brief sofort Viktors Selbstbezichtigungen: Er werde sie und sich noch in den Wahnsinn treiben. Schön, daß das Lesen seiner Briefe sie belebe, er aber könne für sich schon nicht mehr von einer Belebung sprechen, er befände sich bereits im Zustand der Abhängigkeit. »Ich bin ein Süchtiger, und ich will dich süchtig nach schönen Worten machen«, schrieb er. Allerdings verlange das unerbittliche Gesetz des Wachstums eine Steigerung, und ohne die Aussicht auf mehr werde er nicht ewig so weiterschreiben können, er dürfe sie daran erinnern, daß die in ihrem ersten Brief angekündigte Umärmelung noch immer nicht stattgefunden habe.
    Er schrieb ihr, wie Ellen ihn schon seit langem immer wieder einmal in den Kurs zu locken versucht, und wie er widerstanden habe, auch weil er sich an die Lockrufe seiner ersten Ehefrau erinnerte, denen er schließlich gefolgt sei, mit dem Ergebnis, daß er sich in die Kursleiterin verliebt und sie später geheiratet habe. Es sei offenbar sein Schicksal, sich in die Frauen zu verlieben, die seinen Ehefrauen etwas beibrächten und ihnen besonders gut gefielen.
    Er zog Penelope ins Vertrauen und schrieb, wie Ellen mit ihren

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