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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Knie nicht finden. Ein Dylan-Fan aus Kanada schwärmte vom Mitschnitt eines Konzerts vom 6. Februar 1966 in Pittsburg, wo seinerzeit ein paar Mädchen in der Nähe des versteckten Aufnahmegeräts bei dieser Stelle in süßes Gelächter ausgebrochen waren. Wenig später hatte Viktor herausgefunden, daß ein Dylan-Fan aus Nördlingen diese Aufnahme besaß, und Viktor schrieb ihm sofort eine E-Mail mit der Bitte um eine Kopie, so rasch wie möglich, koste es, was es wolle. Dieses Gelächter wollte er hören, und auch Penelope sollte es zu hören bekommen.
    Ganz offenbar war dies der Song eines Mannes zwischen zwei Frauen. Die eine nicht erreichbar, die andere nah. So wie Bob Dylan den Namen der Frau in der Nähe sang – Louise: so innig in die Länge gezogen, war da durchaus eine Menge Liebe auch für diese Frau mit im Spiel, und Viktor wußte in diesen Augenblick, was er an Ellen hatte.
    Be quiet – deny it! Ruhig bleiben – und den Jammer ignorieren. Viktor tat alles, um nicht daran denken zu müssen, es könne sich bei seinen lieblichen Visionen in Wirklichkeit um ausgewachsene Wahnvorstellungen eines frühvergreisten Liebeskranken handeln. Umnachtung statt Vision. »How can I explain? Oh, it’s so hard to get on. And these visions of Johanna, they kept me up past the dawn.« Viktor schrieb: »Verehrteste Penelope, Visionen sind ein großes Wort, und doch sind es diese Bilder von dir, diese zum Glück bewegten und wirklichen Bilder, die mich bei Stange halten.« Jedesmal, wenn er den Namen »Penelope« ausschrieb, hatte er das Gefühl, einen Pluspunkt gegenüber ihrem Freund Urs gemacht zu haben, der gewagt hatte, sie »Lopi« zu nennen.
    »We sit here stranded«– und wieder sah sich Viktor als Helden an antiken Gestaden, an Land gespült von den Wellen des Ägäischen Meers, aufgefunden von Penelope, die sich über den ausgezehrten Körper des Heimgekehrten beugte und den Erschöpften mit ihren Küssen wiederbelebte. Er ließ sich gehen und schwelgte schreibend in diesem Traum, rief sich zur Ordnung und verfluchte die Wirklichkeit.
    Viktor schrieb und schrieb an Penelope, bis ein Fenster auf seinem Bildschirm erschien und ihn fragte, ob er noch online sein wolle. Seit einer Stunde hatte er die Verbindung nicht genutzt. Es war nun morgens vier Uhr, er kehrte zurück ins Internet, die Antworten der ersten Verrückten aus aller Welt waren eingetroffen, die endlich ihr Wissen über diesen Song loswerden wollten, den der Meister, so die Meinung der Forscher, vierzehn Jahre lang nicht gesungen hatte, so groß muß der Liebesschmerz gewesen sein. Viktors Identifikation war komplett. Nähme man ihm die Visionen von Penelope, litte er auch Jahre.
    Die Besessenen nannten sich mit dünner Selbstironie »Dylanologen«, und einer von ihnen kürte Viktor zum »Visionologen«, und Viktor war kindisch genug, sich über den neuen Titel zu freuen. Es machte ihm Spaß, geduzt zu werden und als Schriftsteller nicht zu zählen, sondern innerhalb eines Kreises von Verrückten als einer von vielen fanatischen Jägern nach einer musikalischen Beute akzeptiert zu werden. Auch Penelope dürfte es egal sein, daß er Schriftsteller war. Mit seinen Briefen hatte er sich in ihr Herz geschlichen, nicht mit seinen Büchern. Das empfand er als verdienstvoller.
    Er nannte seine Ansprechpartner »Beschaffer«, denn wenige Stunden hatten genügt, um sich süchtig zu fühlen nach dem Stoff, aus dem die Visionen gemacht waren. Zwei Kontaktpersonen kannte er schon: einer war hochrangiger Diplomat in Rom, der andere Leiter einer gigantischen Buchhandlung in München. »Wir sind Vollakademiker«, witzelten beide, die sich auch nur über Internetkontakte kannten. Der Römer nannte Viktor die Adresse eines Spezialisten für den Visions-Song.
    Um acht Uhr, als Ellen aufstand, hatte der manische Viktor bei verschiedenen manischen Dylanologen Mitschnitte von mehr als dreißig angeblich einmalig guten Konzerte geordert, die angeblich einmalig gute Versionen des Songs enthielten, der über Nacht zu seinem Penelope-Beschwörungs-Lied geworden war. Penelope – mit einer dieser Versionen würde er sie gewinnen. Oder wenigstens weiter auftauen. Wenn nicht mit der Aufnahme in Sydney, dann vielleicht mit Melbourne. Oder mit Stockholm. Oder Dublin. Oder Edinburgh. Oder mit einer der Versionen von den berühmten Konzerten in Manchester oder London. Alles geordert. »Mach schnell, ich flehe dich an, mach bitte schnell«, schrieb er sofort zurück, »ich zahle jeden

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