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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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Stunden nicht geschlafen hatte, bei dieser Bemerkung renitent und übermütig wurde, und so war es auch diesmal: Er lachte sofort laut los, trommelte sich auf die Brust, zog eine Jacke an und sagte, er müsse aus dem Haus, ein bißchen rumlaufen und ein Glas trinken, um diese fürsorgliche Bemerkung Ellens verdauen.

    Im Stehen trank Viktor an der Theke eines ungemütlichen Lokals einen halben Liter Wein und rauchte gierig. Dann wollte er laufen. Die Straßen Zürichs waren ihm nicht steil genug. Er ließ sich mit dem Taxi zum Fuß des Züricher Hausbergs fahren. Ein scheußliches Ausflugsziel, tagsüber, jetzt, an einem schneelosen dunklen Winterabend gegen zehn Uhr, war hier kein Mensch unterwegs. In großen Schritten hastete Viktor den Berg hoch, die Anstrengung tat gut. Penelope kam ihm näher. Sie wurde wieder seine Penelope. Er sprach ein bißchen zu ihr. »Ich schreibe dir, wenn ich da oben bin«, sagte er laut in die dunkle Nacht und lachte. Keine Stunde brauchte er, bis er am Gipfel war. Schade, er wäre gern noch länger gelaufen.
    Oben war ein großes Hotel. Nein, er wolle kein Zimmer, er gehe nur spazieren, er mache eine Rast. Er hätte gern einen halben Liter Wein, kalt und weiß und herb – und ein paar Briefbögen. Und er würde gern im Restaurant sitzen, er schreibe gern an Eßtischen.
    Viktor beschrieb Penelope seine vergangenen Tage. Seine Reaktion auf ihren Brief. Was zu Hause am Schreibtisch nicht geklappt hatte, gelang hier: Er konnte sich kurz fassen, blieb ehrlich und wurde nicht bitter. Mit ihrem Besuch heute nachmittag war klar: Seine Briefe waren nicht mehr als eine lustige Spielerei für sie, die sie nicht ernst nahm und die sie folglich nicht belastete. Sie hatte keine Liebe zu verbergen. Also konnte sie unbefangen sein, zu ihrem Urs und zu Ellen. Während ihn das Gefühl zerriß, heute nachmittag haarscharf einem tödlichen Zusammenstoß entkommen zu sein. Denn Penelope, mit Ellen plaudernd auf demselben Sofa, auf dem Sabine, Bettina und die Tscherkessin entschärft worden waren – das wäre das Ende des Zaubers gewesen. Andererseits war es das Allerletzte, nichtsahnend nebenan zu sitzen und dieser Frau zu schreiben, nach der man sich seit Monaten verzehrte und die Viktors Avancen vermutlich als belebenden Flirt empfand – und was war es auch mehr? Altherrenschleim war es nicht, den er absonderte, eher war es durchgeknallt und ausgeflippt – also akzeptabel, zumal nicht bedrängend und völlig harmlos. Perfekt hatte Viktor seine Liebe hinter Märchen und Mythen und Witzen verborgen. Daß diese Liebe der Antrieb für all die Briefe war – warum sollte Penelope das zur Kenntnis nehmen? Ein Hund läuft einem zu und wedelt freundlich mit dem Schwanz und macht ein paar Kunststücke. Man lacht und erfreut sich und fragt sich nicht, warum. – Sollte Penelope die Einladungen Ellens annehmen, werde er bei diesen Essen nur in Gedanken dabei sein. Er schrieb ihr von Ellens einst so erfolgreicher Entschärfungskampagne, und wie sich die schönsten erotischen Spannungen durch diese familiäre Freundlichkeit verflüchtigt und in ein Nichts aufgelöst hatten. Er habe keine Lust, daß seine Gefühle für sie so endeten. »Daran siehst du, daß ich noch nicht aufgegeben habe«, fügte er hinzu und freute sich. Dann fiel ihm ein, daß auch Penelope seine Briefe entschärfte, wenn sie ihrem Freund und baldigem Mann daraus vorlas. »Weißt du das?« schrieb er. Offenheit sei die schlimmste aller Schlangen, die Offenheit würde sich wie eine Erlöserin an einen heranschmeißen und einem zuraunen, daß nichts geschehe, wenn man nur brav alles sage – und es geschehe in der Tat nichts mehr, wenn man keine Geheimnisse mehr habe. »Daß du heiratest, finde ich klasse«, schrieb er noch und verriet auch, warum: »Ehefrauen freuen sich, wenn man was von ihnen will, und sind erleichtert, wenn wieder Ruhe einkehrt.« Nach ihrer Hochzeit werde er sich bei ihr melden und freue sich schon, daß dann endlich bei ihnen beiden die gleichen familiären Voraussetzungen herrschten. Bis dahin allerdings werde er als Briefschreiber ausfallen: »Ich kann es jetzt nicht mehr, ich will es nicht mehr, ich ertrage es nicht mehr, dich und den deinen mit meiner Liebe zu erheitern.« Dann dachte er daran, daß sie ihm einmal »Nicht verzweifeln« geschrieben hatte, mit vielen Ausrufezeichen. Sie hatte es früher gewußt als er, daß die Schmerzen kommen würden. Jetzt war es soweit. Und man mußte tatsächlich froh sein, daß es

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