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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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für ein Bild: Frau am Fenster liest einen Brief aus einer anderen Welt, versunken, sie hat ihn schon tagsüber hastig überflogen, »in der Arbeit«, wie Penelope immer sagte, nun hat sie mehr Zeit für die vielen tausend Buchstaben, mit denen ihr Verehrer sich in ihr Herz schleichen will. Sie lächelt versunken, sie seufzt, dann faltet sie den Brief zusammen und legt ihn in einen Karton oder eine Schublade, sie muß ihn nicht verstecken oder verbrennen, denn auch wenn es eine Szene wie von Vermeer ist, leben wir nicht in den alten Jahrhunderten, wir spielen mit Vorstellungen, aber wir erdolchen uns nicht wirklich. Urs, der Mann an Penelopes Seite, wird nicht wütend nach diesen Briefen suchen und Drohungen ausstoßen. Sie, seine Frau, hat einen Verehrer, sie mag dessen Briefe, es schmeichelt ihr wohl, er will was von ihr, was sie ihm geben wird, ist ihre Sache.
    So leicht und flirrend im fast schon impressionistischen Licht Vermeers hatte sich Viktor die Briefleserin Penelope ausgemalt, und nun war dieses Bild zerstört, nun war Urs kein Mann, der unsichtbar im Nebenzimmer mit sachlicheren Dingen beschäftigt war, klug genug, seiner Frau ihre Welt zu lassen, nun saß er also dabei und sie las ihm vor…
    Nein, das wollte sich Viktor nicht vorstellen, das verstand er auch nicht. Er hatte seine Flötentöne für die offenen Lauscher einer Gazelle bestimmt und für kein Ohr sonst. Es waren unabgesicherte Betörungsversuche für die nachsichtigen Augen derjenigen Frau, die mit ihrer strahlenden Erscheinung diese männlichen Verrenkungen und Entblößungen ausgelöst hatte. Nur sie durfte sich freuen oder wundern oder amüsieren über all die grotesken, halb prahlerischen, halb verlegenen Balz-Sprünge eines verliebten Steinbocks und über sein seltsames Brunst- und Brunftgurren. Wie schrecklich, daß Penelope, ihren Gefährten als Zuschauer teilnehmen ließ an diesem liebestollen Verhalten. Wie unschuldig auch. Viktor konnte ihr nicht böse sein. Es war nicht ihre Schuld, sondern ihre Schönheit, sie war der Grund dafür, warum ein ausgewachsener Dichter sich plötzlich wie ein Teenager benahm. Das war doch lustig, warum sollte sie nicht den Freund holen und sagen: »Hör mal, wie der röhrt und Funken zu sprühen versucht, und wie er mit den Hufen auf den Felsen klopft – ist das nicht köstlich!«
    Viktor litt nicht nur, weil er von Penelopes Freund beim Balzen beobachtet worden war. Das war peinlich, aber er war stabil genug, das zu ertragen. Es kamen noch schlimmere Schläge. Auf seine Frage »Zu viel Bocksgesang?« hatte Penelope »Manchmal schon« hingeschrieben. Das war ehrlich, süß und bitter. Wenn seine Phantasien noch so mythen- und märchenhaft verbrämt waren, dahinter stand doch der Wunsch nach Wirklichkeit. Und dieser Wunsch, vermutlich da, wo er zu deutlich zum Vorschein kam, wurde ihr manchmal zu viel. Aber nur dieser Wunsch ließ ihn überhaupt die Briefe schreiben. Nur weil er sie wirklich liebte und begehrte, weil er sich wirklich verzehrte nach ihr, konnte er ihr schreiben. Kein Mensch schreibt wochen- oder monatelang aus Jux oder einer unernsten Schwärmerei heraus einen Brief nach dem anderen. Nur deswegen mochte sie seine Briefe, weil sie bei aller Komik ernstgemeint waren. Nur deswegen hatten sie die Kraft, sie zu erheitern. Und deswegen gingen sie ihr manchmal zu weit.
    Penelope hatte nicht nur den Fragebogen ausgefüllt, sondern einen Brief dazu geschrieben, in dem sie seine Märchenmetaphorik übernahm. Und dieser wohlmeinende und zärtliche Brief tat ihm so weh – er hätte brüllen können vor Schmerz. Es waren seine eigenen Worte, die weh taten, wenn sie von Penelope spielerisch zurückgeworfen wurden. Natürlich war er ihr in seinen Briefen ständig in den Ohren gelegen, wie verrückt und unvernünftig, wie durchgeknallt und irre es von ihm sei, ihr derart hinterherzujagen. Als er jetzt las, daß sie ihn anfangs für »total durchgeknallt« gehalten hatte, tat das weh, obwohl es positiv gemeint war. Noch viel mehr weh tat es, daß sie mit ihrer Unerreichbarkeit kokettierte. Natürlich hatte er von Anfang an diese Unerreichbarkeit beklagt, aber natürlich nicht, um das von ihr frohgemut bestätigt zu bekommen, sondern in der vielleicht durchgeknallten Hoffnung, sie würde irgendwann mit ihren Gazellenschnauze nah an sein Zottelohr herankommen und flüstern: »Unerreichbar? Ist doch gar nicht wahr, du altes Horntier, hier bin ich doch!«
    Das schrieb sie leider nicht. Sie zeigte ihm

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