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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph von Westphalen
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statt dessen seine Grenzen, indem sie ihn sehr hübsch als Steinbock beschrieb, der sich auf »gefährlich steilen Bergwiesen« herumtreibe, um dort nach »prächtigen Blüten« zu suchen, die er auf seine Hörner spieße. Sie entwarf ein süßes Bild, eine Jugendstilzeichnung: »Die Blütenblätter prangen nun auf seinen Hörnern. Stolz, liebestoll trabt er schwungvoll dahin. Wohin? Eine Gazelle wird diesen Blütenzauber gereicht bekommen, er stellt sich vor, wie sie genüßlich jedes einzelne Blatt herunterknabbert. Aufregend.« Das also war seine Rolle: Penelope, die Berggazelle, verspeist mit Appetit seine Briefe, schenkt ihm schöne Blicke, lächelt ihm dankbar zu, winkt niedlich mit ihrem Huf und versichert ihm, immer weiter von seinen Blüten kosten zu wollen… Das alles schrieb Penelope. Schwarz auf weiß. Aber dann kam es: Nach dem Imbiß dankt und grüßt die Gazelle, sagt artig »bis zum nächsten Mal« und entschwindet »als unerreichbare Schönheit tänzelnd am Horizont – und trabt zu ihrem Gazellenmann«.
    Viktor saß in seinem Zimmer und litt. War das das Finale, oder nur das Ende eines Aktes? Wie auch immer, im Augenblick stand er in diesem Spektakel als der gehörnte Liebhaber da. Eine Witzfigur. Und er selbst hatte die Inszenierung angezettelt. Die Strafe war die Demütigung. Sie traf den Täter. Das war in Ordnung. Im achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert wäre es vermutlich schlimmer ausgegangen. Man kennt das: Etwas zu alter Dichter verehrt etwas zu junge Frau. Das riecht nach Tragödie. Zunächst gibt ihre Schönheit seinen Worten Kraft. Sein Schwärmen betört und verwirrt sie. Sie gibt sich ihm hin. Ihr Freund oder Bruder nimmt sich das Leben. Der Dichter, dieses Schwein, alsbald ernüchtert, verläßt sie. Sie stirbt vor Kummer. Des Dichters Gattin tötet schließlich ihren verderbten Mann oder verläßt ihn. Ist keine Gattin als Rächerin vorhanden, muß ihn der Teufel holen.
    Die Zeiten solchen Unheils waren immerhin vorbei. Der Ausgangspunkt aber war noch der gleiche: Etwas zu alter Dichter verehrt etwas zu junge Frau. Auch daß die Schönheit den Worten Kraft gibt, war noch immer so. Aber dann läuft es anders: Das Schwärmen des Dichters verwirrt die etwas zu junge Frau keineswegs. Im Gegenteil. Es kräftigt und bestätigt sie. Sie genießt es. Ihr Freund bringt sich nicht um. Er freut sich über die Beliebtheit seiner Braut. Gibt sie sich dem Dichter hin? Vielleicht tut sie es sogar, sie will vielleicht was ausprobieren, und der Alte freut sich. Aber selbst wenn – was spielt das heute noch für eine Rolle? Sie wird ihren Freund deswegen nicht verlassen. »Mußte das sein?« wird der Freund fragen und sie freundlich in die Arme nehmen. »Schon«, sagt sie und lacht. Und warum sollte die Frau des Dichters ihren Mann töten oder verlassen? Sie wird sagen: »Du altes Arschloch kannst es nicht bleiben lassen. Und immer mit meinen Freundinnen!« So ist das heute. Kein Unschuldiger zieht den kürzeren. Nur dem Täter tut die Liebe weh. Sie brennt und zieht und zwickt und drückt und wuchert.
    Viktor war nicht der Mann mit dem Teufel im Leib, der mit einer jungen Frau gespielt hatte, von der seine Frau große Stücke hielt. Der Spielball war er selbst. Keine altertümliche Tragik, aber viel altertümlicher Schmerz. Penelopes liebgemeinter, argloser und zärtlicher Brief hatte ihm seine Grenzen gezeigt. Er selbst hatte sich in die Rolle gebracht, die früher den jungen verführten Mädchen zugedacht war. Nicht Penelope, nur er selbst hatte seinen Wort geglaubt und sie ernst genommen. Nun saß er da. Nicht einmal zurückgestoßen. Nur der Lohn war ihm zu wenig. Ihr Lächeln allein genügte ihm nicht. In dreißig Jahren vielleicht würde er hoffentlich soweit sein, sich damit zufriedenzugeben. »Wäre ich vierundsiebzig, Penelope«, schrieb er ihr, »empfände ich es vermutlich als das höchste der Gefühle, immer nur leckere Worte für dich aufzuspießen und sie mir von dir von den Hörnern knabbern zu lassen, jetzt aber will ich der Gazelle noch ans Fell.«

    Ein paar Tage lang schrieb Viktor schon an seinem komplizierten Antwortbrief an Penelope herum, der diesmal keine kokette Selbstbezichtigung sein sollte, sondern eine große und möglichst ernste Klage gegen die Ausgeburten seiner eigenen Phantasie. Da sich Penelope an seiner Phantasie bis auf wenige Entgleisungen mit Vergnügen gütlich tat, hoffte er, sie werde ihm in den Arm fallen, wenn er seine unselige Einbildungskraft

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