Der Liebessalat
wollte nicht so elend archaisch sein. Auch die Frauen sollten jagen. Deshalb fragte er:
»Bist du mal in Zürich?« Er hätte sich für seine Frage sofort erdolchen können. Warum konnte er es nicht lassen? Warum konnte er die Dinge ruhen lassen!
»Jetzt kommt die Tour!« sagte Sabine, aber sie sagte es erfreut. »Schon«, fügte sie so hinzu, daß er sie fragen mußte:
»Du hast meine Nummer?«
»Viktor Alzheimer«, sagte sie, »ich habe dich doch in Zürich angerufen und hierher eingeladen.«
»Ruf bitte an, wenn du mal da bist«. Er wußte nicht, ob es ein Reflex war oder wieder Geschwätz oder Höflichkeit – er wußte nicht einmal, ob es ehrlich war oder verlogen, als er hinzufügte: »Das darf nicht die letzte Nacht gewesen sein. Unsere Geschichte war einmalig, und sie hat ein besseres Finale verdient.«
»Finde ich auch«, sagte Sabine. Sie sagte es sehr ehrlich, und Viktor wußte jetzt, sie würde eines Tages in Zürich anrufen. Sie sah von Minute zu Minute besser aus, als gehe eine Schwellung zurück, und Viktor war jetzt auch ehrlich, als er sagte: »Ich freue mich.«
»Und deine wunderbare Gattin?« fragte Sabine noch, »sie ermordet mich nicht?«
»Es ist die dritte Gattin. Ich glaube, diesmal ertragen wir gegenseitig unsere Unsitten. Warum sollte eine Buchhändlerin aus Hannover nicht anrufen, wenn sie in Zürich ist? Wir leben nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert. Warum soll ich dich nicht in Zürich in deinem Hotelzimmer besuchen, so wie du mich hier in meinem? Aber komm bitte nicht mit dieser grauen Jeans.«
»Scheusal!« sagte Sabine und ging zur Tür. Viktor wollte sie begleiten.
»Ich finde den Weg allein«, sagte sie und schob ihn freundlich ins Zimmer zurück: »Schlaf dich aus.«
Viktor sagte, ausschlafen käme nicht in Frage, seine Einfälle ließen das nicht zu. Er werde sich um sieben wecken lassen.
»Das kannst du deiner Großmutter erzählen«, sagte Sabine, »so ein tüchtiger Deutscher bist du auch wieder nicht. Auf Wiedersehen in Zürich – oder auch nicht.«
Hellwach ging Viktor in seinem Zimmer auf und ab, aß achtlos einen geschmacklosen Hotelapfel, rauchte eine Zigarette, die ihm nicht schmeckte, und hätte jetzt gern einen Kaffee getrunken, wollte aber um diese Zeit niemanden mit diesem Wunsch traktieren. Nachts Zeitung lesen war pervers, die Fernsehsender gaben nichts mehr her, die Vorstellungskraft war erschöpft – es half nur noch das Erinnerungsvermögen.
»Schlaf dich aus«, hatte Sabine gesagt. Diese Worte waren erstens mütterlich und zweitens deutsch – und lösten in dieser Kombination jenseits aller grauen Jeans die Erinnerung an eine andere Nacht mit einer anderen Frau aus, die Viktor bisher noch nicht literarisch verwertet hatte, nicht weil es sich um eine Niederlage handelte – Niederlagen waren literarisch ergiebig –, sondern weil ihm das Thema bisher immer zu vergangenheitsbewältigend war.
Es war einmal eine berühmte Filmschauspielerin. Ein Weltstar. Die Traumfrau vieler Fans. Und es begab sich, daß ein Roman von Viktor Goldmann verfilmt werden sollte. Viktor besaß die Filmrechte, und wer sie erwerben oder bei dem geplanten Film mitwirken wollte, mußte mit Viktor sprechen. Er zierte sich, und das machte die Interessenten nur noch gieriger. Viktor wurde in diesen Tagen oft zum Essen eingeladen. Eines Tages kam die berühmte Filmschauspielerin. Sie interessierte sich für die weibliche Hauptrolle. Sie gingen essen und unterhielten sich königlich und tranken viel. Nicht aus Berechnung, sondern weil der Mensch manchmal in der Nacht nicht gern alleine ist, geleitete der betrunkene Viktor die betrunkene Filmschauspielerin erst in ihr Hotel und dann in ihre Edelsuite. Sie sanken zusammen aufs Bett – und es geschah nichts. »Du magst mich nicht«, murmelte die sehr betrunkene und sehr berühmte Schauspielerin, und noch während der weniger berühmte, aber ebenso betrunkene Viktor widersprechen wollte, schlief sie auch schon ein, und Viktor hatte Zeit, in sich zu gehen und sich zu fragen, warum er sie nicht begehrt hatte. Alkohol? Das konnte der Grund nicht sein. Auch wenn man noch so betrunken ist, versucht man es doch wenigstens. Valeska? Es ging damals so heftig zwischen Erstehefrau Ella und der noch nicht Zweitehefrau Ira hin und her, daß Viktor in seiner Not glaubte, nur eine gewisse Valeska könne ihn aus seinem Dilemma befreien. Valeska war eine fragile, von Minderwertigkeitskomplexen und schlechten Berufsaussichten zermürbte
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