Der Liebessalat
darf.
»Halt! bitte zurück«, rief Viktor. Sabine hatte einen alten Jazz-Film herbei- und gleich wieder weggezappt. Sie ging zurück und verdrehte die Augen, als Viktor völlig ekstatisch »Jajaja!« rief.
»Der Höhepunkt einer leidenschaftlichen Nacht«, war ihr Kommentar. Viktor hätte ihren Sarkasmus witzig gefunden, wenn der Film nicht sofort all seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Man sah, wie in einem schwarzen New Yorker Jazz Club zu später Stunde die Solisten ihre Instrumente einpacken und verschwinden, nur der Mann am Klavier will noch nicht gehen, auch der Gitarrist und der Schlagzeuger können sich noch nicht trennen und machen weiter Rhythmus, und zwar so fetzig, daß der Mann am Saxophon wieder zurückkommt, sein Instrument auspackt und wieder heftig zu blasen anfängt. Wenig später kehrt der Trompeter zurück. Die beiden blasen um die Wetten und jagen sich die Soli ab. Zwei pechschwarze Zigarettenverkäufer kommen aus der Garderobe und fangen an, wie die Wilden zu tanzen.
»Schau dir das an!« rief Viktor außer sich.
»Das ist was für Autisten«, sagte Sabine, »Männermusik, auch nicht besser als Fußball.«
»Das fanden meine Ehefrauen auch immer«, sagte Viktor, »aber erst nach einer Weile. Du bist wirklich sehr früh dran mit deinem Urteil.« Er versuchte die unwillige Sabine vom Bett hochzuziehen und ein paar Schritte mit ihr zu tanzen. Sie war nicht völlig abgeneigt, aber es war nicht ihr Rhythmus. Sie stolperten und lachten. Der Nachtportier rief an. Andere Gäste hätten sich über den Lärm beschwert. Das schaffte eine gewisse Solidarität. Die Stimmung wurde besser. An Liebe machen aber war nicht mehr zu denken. Sie sprachen es aus und waren sich einig.
»Bleib doch trotzdem«, sagte Viktor, als Sabine Anstalten machte zu gehen. »Sei doch nicht so fickfixiert«, fügte er mutig hinzu. Er habe gehört, das nicht zum Zuge gekommene Männer immer grollend in die einsame Nacht gingen. Frauen hingegen, habe er gedacht, seien vernünftiger, übernachteten auch ungevögelt und frühstückten am nächsten Morgen wie nach der schönsten Liebesnacht.
Sabine lachte jetzt, und obwohl es vier Uhr war, sah sie aus wie früher. »Es ist besser, wenn ich gehe.« Es war eine Kundgebung.
»Schade«, sagte Viktor und hütete sich, ihren Abgang mit mehr als diesem einen Wort zu bedauern oder gar Sabine weiter zum Bleiben aufzufordern, denn er fand auch, daß es besser war.
»War trotzdem nett, wirklich«, sagte sie.
War trotzdem nett, wirklich – wenn das Ellen gehört hätte. »Was hast du für plappernde Freundinnen«, würde sie sagen.
»Bist du mir böse?« fragte er. –»Eine selten blöde Frage«, würde Ellen sagen.
Es war Sabine, die dann die schmerzhafte Förmlichkeit des Abschiedsdialogs durchbrach:
»Böse? Weil wir nicht gevögelt haben, oder was? Nein. Ich hab gar kein Recht, böse zu sein.« Und nach einer kleinen Pause: »Du magst es nicht!«
»Was?« fragte Viktor erschrocken.
»Wenn man dir böse ist.«
Viktor war erleichtert. Er hatte befürchtet, sie könnte sagen: »Wenn Frauen die Initiative ergreifen.«
»Natürlich mag ich es nicht, wenn man mir böse ist«, sagte er, »ich bin harmoniesüchtig.«
Jetzt kam das Thema doch: »Bist du mir böse – weil ich mich so aufgedrängt habe?« fragte sie weich.
»Ich bitte dich!« Viktor hob beschwörend die Hände: »Die Männer sind so zurückhaltend geworden. Wenn Frauen nicht aktiv würden, würde die Menschheit aussterben.«
»Ja, ja«, sagte sie matt, als wüßte sie, als akzeptierte sie sogar, daß er schwätzte und log. Denn natürlich war es das Bedrängende und Erwartungsvolle von Sabine gewesen, das ihn so lustlos gemacht hatte, und nicht ihre neue Rundlichkeit, nicht das Fehlen der lila Hose, nicht die Tscherkessin im Kopf. Er lief den Frauen lieber hinterher. So war es. Wenn er von ihnen gestellt wurde, verlor sich sein Fieber. Er wollte Beute machen. Er wollte nicht Beute sein. So war er nun mal strukturiert. Die Signale der Tscherkessin waren deutlich genug gewesen. Sie war ein Weibchen, sie wollte gejagt werden. Sie wollte ein Beutetier sein und dann um sich schlagen. Das gefiel ihr. Und das gefiel ihm. Nichts Ungewöhnliches. Viktor war ein stinknormales männliches Wesen. Ein Primitiver. Er wäre gern anders. Menschlicher. Fortgeschrittener. Nicht immer nur der Jäger, der seine Träume an die Wände der Höhle malt, wenn er nicht auf der Jagd ist. Nichts anderes tat er als Schriftsteller. Er
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