Der Liebessalat
Langzeitstudentin, wunderhübsch und reserviert, »very complicated«, wie die Rolling Stones einst so hinreißend sangen. Viktor hatte es in wochenlangem Minnedienst bis zum Kniekuß gebracht und hätte es irgendwie stillos gefunden, in dieser Zeit mir nichts, dir nichts mit einer weltberühmten erfolgreichen Schauspielerin zu vögeln, während er in seinem Inneren geduldig und liebevoll darauf hinarbeitete, endlich mit der unberühmten und erfolglosen Valeska im Bett zu liegen. Das wäre Verrat an seiner Sehnsucht nach dem Wahren und Guten, nach der verborgenen Schönheit gewesen. Aber auch das konnte der Grund für seine sexuelle Appetitlosigkeit nicht sein, denn zu solchem Verrat war Viktor durchaus in der Lage, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Er hatte sich auch nicht vom Busen oder Ruhm des Weltstars bedrängt gefühlt, obwohl beides, Busen und Ruhm, für seinen Geschmack etwas zu viel war. Der wirkliche Grund war Viktor so peinlich, daß er ihn nicht einmal seinem Helden im Roman untergeschoben hatte. Der wirkliche Grund nämlich war sein Rassismus gewesen. Die Schauspielerin wirkte so extrem deutsch auf ihn. Nicht etwa, weil sie besonders blond und germanisch gewesen wäre. Aber Viktor hatte sie einmal in einer Rolle gesehen, in der sie eine deutsche Kriegsmutter gespielt hatte. Nicht einmal ein völkisches Naziweib. Eine ganz gewöhnliche deutsche Mutter, deren Mann in den Krieg zieht, ihr bei den Heimaturlauben immer fremder wird und schließlich irgendwo in Rußland fällt. Dann ist sie Kriegerwitwe, und nach dem Krieg packt sie als Trümmerfrau zu und bringt heroisch die Kinder durch. Ein Millionenschicksal. Sehr gut gespielt. Sehr echt. So echt eben, so wacker, so tapfer, so deutsch, so wachstuchhaft wohnküchenmäßig, so aufrecht und aufgekrempelt, daß es Viktor verging. Diese Schauspielerin war nicht so. Sie war eine moderne junge Frau. Eine ganz andere Generation. Aber weil sie Viktor als tüchtige deutsche Mutter gesehen hatte, konnte er sie nicht mehr anders sehen. Und eine tüchtige deutsche Mutter konnte er nicht lieben, geschweige denn mit ihr schlafen. Die Nazimänner und Nazifrauen waren ein historisches, ein ideologisches, ein politisches Problem. Es gab eine Menge Möglichkeiten, diese Vergangenheit zu bewältigen, wenn man das wollte. Die mütterliche deutsche Tüchtigkeit aber war ein sexuelles Problem. Jedenfalls für Viktor. Man hätte es ein sexualästhetisches Problem nennen können. Ein sexualästhetisches Potenzproblem.
Die Folge dieses Problems war, daß Viktor eine irrationale Abneigung packte, wenn ihm Frauen zu nahe kamen, die auf irgendeine Weise die Assoziation »deutsche Mutter« in ihm auslösten. Ein Geruch, ein Kleid, die unschuldige Art, sich ans Klavier zu setzen genügten oft, und eine Lawine konnte sich in Bewegung setzen. Ella hatte ein altes, eichenes Klavier mit in die Ehe gebracht. Sie mochte es, weil es nostalgisch war und ein Familienstück. Zum Glück war es ausgeleiert, und die Stimmung hielt nur kurz. Viktor, der damals am Anfang seiner Laufbahn als Schriftsteller stand und nicht besonders gut verdiente, hatte ihr sofort ein neues weißes Klavier geschenkt. Sie war begeistert gewesen von seiner Großzügigkeit. Weil er sie nicht verletzen wollte, sagte er nicht den wahren Grund. Das Spielen auf verstimmten Klavieren störte ihn nicht im geringsten. Wenn er es überhaupt wahrnahm, gefiel es ihm. Es war die Vorstellung, daß dieses Klavier in der Nazizeit in einem deutschen Wohnzimmer gestanden hatte und daß eine deutsche Mutter und deren deutsche Freundinnen darauf Schubert oder ein verdammtes deutsches Weihnachtslied gespielt und mit deutscher Sehnsucht an ihre Männer an der Front gedacht haben könnten, die ihn »abtörnte«, wie er es für sich nannte, um diese deutsche Heimsuchung wenigstens mit einem undeutschen Wort zu beschreiben.
Nun war es Viertel nach vier. Adrian war sicher noch auf. Adrian war auch ein Nachtarbeiter. Er würde ihn noch anrufen können. Adrian lebte in München und war Viktors Musikerfreund. Er spielte Jazzgeige, und manchmal traten sie zusammen auf. Adrian war eher klein und sehr dick, und Viktor war eher groß und sehr dünn. Auf der Bühne gaben sie ein gutes Bild ab. Adrian komponierte, musizierte, und hörte viele neue CDs, die er für Musikzeitschriften rezensierte. Er arbeitete oft bis in die Morgenstunden. Adrian war Anfang dreißig. Mit seiner Geige, die er schmachtend und schrill zugleich spielte, gewann er
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