Der Liebessalat
glutvolle Freundinnen, die ihn nach einem Jahr wieder verließen. Dann litt Adrian heftig und rief bei Viktor an, und sie telefonierten nächtelang. Wenn Ellen das mitbekam, sagte sie: »Aha, du führst mit deinem Freund wieder Teenagergespräche.« Viktor mußte Adrian dann die Frauen erklären. Manchmal verabredeten sie eine kleine Tournee, eine Reihe von Auftritten, um sich noch ausgiebiger austauschen zu können. Adrian glaubte an die eine große Liebe und lehnte Viktors Ansichten kategorisch ab, wonach es kein einziges großes Liebesglück gäbe, sondern daß man das Glück aus lauter Einzellieben zusammensetzen müsse. Was sie verband, war, daß sie sich für Frauen restlos begeistern konnten. »Du eben nicht restlos,« hatte Adrian einmal gesagt, »du mußt ja immer Platz lassen für andere Frauen!« Viktor hatte protestiert: »Mein Herz ist eine große Villa, sie kann nie restlos besetzt sein.« Sein Frauenideal, so Viktor, sei die Besucherin. Und zwar die treue Besucherin, die immer wiederkomme, weil sie nie enttäuscht sei, weil er sie liebe und verwöhne wie sie von keinem anderen gottverdammten Mann geliebt und verwöhnt werde. Sie könne kommen und gehen, wie sie wolle, sie sei frei, es stünde ihr ein eigenes Gästezimmer zur Verfügung.
Viktor rief Adrian immer dann an, wenn er eine Jazzfrage hatte. Anschließend brachten sie sich gegenseitig auf den neuesten Stand der Liebesdinge. Als Viktor jetzt anrief, hob Adrian sofort ab. Im Hintergrund lief Musik. Er hatte also noch nicht geschlafen. »Was ist das?« fragte Viktor. Es war burmesische Tempelmusik. Adrian arbeitete an der kühnen Theorie, daß das Prinzip des Bebop, der den Swing zersprengt und den Jazz neu belebt hatte, auch in der Musik anderer Völker vorkomme. »Der Bebop kam Anfang der vierziger Jahre auf«, sagte Adrian, »aber ich kann doch nicht schreiben: Anfang der vierziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Das klingt so umständlich und so weit weg. Was meinst du als Schriftsteller dazu?«
Viktor konnte ihm nicht helfen. »Deswegen schreibe ich Romane«, sagte er, »da lassen sich solche Probleme besser vertuschen.«
»Ich weiß, warum du anrufst«, sagte Adrian, »du willst wissen, wer in dem Jazzfilm
After Hours
die Solisten waren und was sie spielten. Es waren Coleman Hawkins am Tenorsaxophon und Roy Eldridge an der Trompete und sie spielten
Just You, Just Me
, 1961 müßte das gewesen sein, am Klavier war Johnny Guarnieri, am Schlagzeug…«
»Hör auf, du schrecklicher Seher, du esoterisches Monster«, rief Viktor erschrocken ins Telefon und kam sich observiert vor. »Erklär mir sofort, warum du glaubst, daß ich das wissen wollte.«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es«, sagte Adrian und lachte sein verrücktes Lachen: »Es ist doch ganz einfach: Du liebst Coleman Hawkins, aber du kannst dir nie merken, wie er aussieht. Du liebst
Just you, just me
, aber du erkennst die Melodie nie wieder.«
Woher wußte der unheimliche Adrian, daß Viktor den Film überhaupt gesehen hatte? Viktor solle nicht so hinterwäldlerisch sein, sagte Adrian, es gäbe dreißig Fernsehprogramme; alle vernünftigen Menschen seien verkabelt, wer sich für Jazz interessiere, habe sich den seltenen Film nicht entgehen lassen, den Adrian übrigens auf Videokassette aufgenommen habe, da ihm schon klar gewesen sei, daß der chaotische Viktor den Film nicht richtig mitbekommen werde, weil er sich wieder einmal mehr für die Frauen interessiert habe als für den Jazz. Und da ihn Viktor schon mal als »Seher« bezeichne, werde er ihm gleich sagen, was er mit seinen telepathischen Kräften noch sehe: Viktor in einem Hotelzimmer, in dem bis eben noch eine Frau gewesen sei.
Viktor schrie vor Spannung und flehte um Aufklärung. Adrian lachte wie ein Teufel und sagte: »Ist doch ganz einfach. Zu Hause würdest du erst einmal im Fernsehteil einer Zeitung nachsehen, was für ein Film das war und nicht gleich mit einem nächtlichen Anruf meine hohen Gedankenflüge stören. Also bist du unterwegs. Lägst du bei irgendeiner Geliebten, würdest du mich nicht anrufen. Also bist du in einem Hotel. Eine Frau war da, weil immer irgendwelche Frauen bei dir sind, jedenfalls nach deinen Büchern zu urteilen. Mit der Frau kann es nicht so gut gelaufen sein, sonst hättet ihr nicht mitten in der Nacht ferngesehen. Der Jazzfilm, in den ihr dann reingeschaut habt, hat ihr den Rest gegeben. Sie ist vor kurzem gegangen. Wahrscheinlich hat sie vorher noch gesagt: ‘Jazz ist
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